Kultur: Hörerlebnis
Das Auftaktkonzert der Tage jüdischer Musik
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Der Auftakt der 3. Potsdamer Tage jüdischer Musik am Sonntag war ein besonderer. Erstmals kam ein Ensemble des Yiddish Summer Weimar nach Potsdam in die Nikolaikirche mit 30 Musikern und Sängern aus ganz Europa. Das Konzert setzte ein eindrucksvolles Zeichen des beispiellosen Aufschwungs, den jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland seit der Wende erfahren haben.
Dass gerade Weimar als Standort des Yiddish Summer dient, ist wohl kein Zufall. Weimar markiert nicht nur die bedeutendste Stätte deutscher Dichtung, sondern ebenso einen Ort brutalster Vernichtung von Menschenleben im benachbarten Buchenwald. Ein halbes Jahrhundert später entwickelte sich hier innerhalb von zehn Jahren aus einem kleinen Wochenendworkshop für jiddische Musik eines der bekanntesten Sommerinstitute für jiddische Kultur. Dieser Erfolg beruht zuerst auf dem Spiritus rector des Unternehmens, Alan Bern.
Der Potsdamer Auftritt, nach einem einwöchigen Workshop beim Yiddish Summer Weimar, besaß viel improvisierten Charme. Leider lag kein Programm für das kurzfristig zusammengestellte Konzert vor. So erfuhr man weder etwas über die Titel noch über die Musiker. Alan Berns Erklärungen, wenngleich auf Deutsch, trugen kaum zur Aufklärung bei, da sie in den Halleffekten der Nikolaikirche untergingen. Aus der Fülle von fünfzehn Werken in unterschiedlichsten Besetzungen können nur einige Hörerlebnisse und Beobachtungen wiedergegeben werden. Etwa die Hälfte der Musik bestand aus traditionellen instrumentalen und vokalen Stücken, die zweite Hälfte auch Neukompositionen. Zu den älteren Genres gehörten Gasnign, Dobriden, Terkisher Dobriden und Mazltov sowie jiddische Vokalballaden.
„Yidishkayt!“ lautete das Thema der diesjährigen Sommerschule und laut Alan Bern, liegt deren wohl tiefste Ebene im unbegleiteten Gesang. Sänger Efim Chorny aus Chisinau in Moldawien und die Sängerin Sasha Lurje aus dem lettischen Riga bezeugten dies mit ergreifenden Gesängen. Dunkle Tonlagen, meditative Stimmungen mit ostinaten Rhythmen und Motivwiederholungen kennzeichneten viele Stücke. Höchst ausdrucksvoll mit großartiger Violinstimme erklang ein Stück für Violine und Klavier, das vom New Yorker Künstler Steven Greenman wunderbar gespielt wurde. Nicht nur hier offenbarten sich die gemeinsamen Wurzeln von jiddischer und sogenannter Zigeunermusik. Sie kamen tonal bei der Verwendung der „Zigeuner-Tonleiter“ und anderer typischer Spielweisen zum Ausdruck, aber auch in den verwendeten Instrumenten.
So erklang eine Pièce in der verbreiteten Besetzung mit zwei Geigen, Zymbalon und Bassgeige, die sich auch in der ungarischen und österreichischen Musik findet. Auch gab es einen melancholisch verlangsamten Tanz im Dreivierteltakt, der von sieben Akkordeons gespielt wurde. Gleich drei Klavierwerke eines unbekannt gebliebenen polnischen Komponisten brachte Jascha Nemtsov aus Potsdam zu Gehör. Sehr anregend erklangen die Klarinetten, bis zu fünf auf einmal, doch speziell bei zwei ergreifenden Solo-Auftritten von Michael Winograd, New York, und Kurt Bjorling, Chicago. Schnell wurde klar, dass hier Musiker aus der Klezmer-Avantgarde versammelt waren. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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