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Kultur: Horror-Visionen

Wie man eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt vergeigen kann

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Wie man eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt vergeigen kann Die spannendsten Fragen dieser Woche betreffen den laut Bild-Zeitung „hochnäsigen Schriftsteller“ Andreas Maier, der einstimmig von einer Jury das erstmalig vergebene viermonatige Potsdam Stipendium erhalten sollte: kommt er, oder kommt er nicht? Wird er wie geplant auf der Literaturnacht am Freitag lesen, oder doch nicht? Verwirrung und Chaos gestern noch: um 11 Uhr Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer, die es besser wissen müßte: „Er kommt, ganz sicher“. Nur zwei Stunden später sagt Maier das Stipendium ab, mit dieser Verwaltung möchte er nichts mehr zu tun haben. Es stellen sich in diesem Zusammenhang noch weitaus spannendere Fragen. Selbstredend ist der Suhrkamp-Autor an der Medienlawine, die durch die völlig verkorksten Umstände im Zuge der Preisvergabe losgetreten wurde, komplett unschuldig. Die Situation zwischen den Akteuren, der lokalen Presse, der Jury, den Verantwortlichen auf Seiten der Stadt und dem Schriftsteller selbst war festgefahren. Ein gordischer Knoten, der nur durch eine noble Geste noch hätte gelöst werden können. Ein roter Teppich für den Ehrengast vielleicht, eine Stadtführung durch den Oberbürgermeister, ein Eintrag ins Goldene Buch, eine Entschuldigung auch und vielleicht gerade von denen, die sich für schuldlos an einer beispiellosen Posse halten. Der Imageschaden, dessen Widerhall durch die gesamten Feuilletons der Republik zu hören war, wird sicherlich auch bei den Konkurrenten um die Bewerbung zur Kulturhauptstadt angekommen sein.Ein kulturpolitischer Super-GAU, nichts weniger. Wer so ungeschickt und ohne Übersicht über mögliche Konsequenzen sogar ein harmloses Stipendium vergeigt, wer aus blindem Populismus eine heuchlerische Scheindebatte über die Vorzüge von Plattenbausiedlungen anzettelt, wo es schlicht und einfach um Gastfreundlichkeit geht, der soll fähig sein, kontroverse Kulturprogramme mit europäischer Ausstrahlungskraft zu organisieren? Der Organisator der Bewerbung für den Titel Kulturhauptstadt 2010, Moritz van Dülmen, oder der Oberbürgermeister selbst hätten innerhalb der letzten Wochen an jedem beliebigen Zeitpunkt mit Fingerspitzengefühl punkten können, stattdessen war von dieser Seite kein konstruktiver Vorschlag zu hören. Das mit dem Vorgang befaßte Kulturamt versagte und versandete mit allen Vieren, indem es Andreas Maier eine vorgefertige Pressemitteilung zur Unterzeichnung zusendete, in der er sein Einverständnis zur Unterbringung im, so die Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer, „zauberhaften“ Wohngebiet Waldstadt II, erklären sollte. Bevor nun wieder Protest einsetzt: die Waldstadt ist zauberhaft, aber Potsdams Außenwirkung – und um nichts anderes geht es laut Bewerbung – wird eindeutig von der wesentlich zauberhafteren barocken Innenstadt geprägt. Selbst im Werbefilm für Potsdam 2010 ist nirgendwo eine Plattensiedlung zu sehen. Die Heuchelei und gespielte Entrüstung über eine „Diskriminierung von Zehntausenden“, wie man es lesen konnte, erscheint vielmehr als eine Instrumentalisierung der Bewohner vom Stern, Schlaatz, aus Drewitz und Waldstadt, wohl wissend, dass die dortigen Bewohner gewiss andere Sorgen haben, als sich ernsthaft in Stellvertreterdebatten einzumischen. Fürsprecher ohne Mandat, Hauptsache, man fühlt eine Mehrheit hinter sich. Diese paternalistische Aneigung ist weitaus diskriminierender. Was steht hinter dem ungeschickten Agieren der Stadt? Auf der heutigen Pressekonferenz, zu der Maier kommen sollte, wird man mehr erfahren, u.a. auch, ob die Bewerbung für die Kulturhauptstadt noch Chancen hat. Maier, der wenigstens die Einladung, auf der Literaturnacht zu lesen, angenommen hat, wie zu vernehmen war, Jann Jakobs einen Brief geschrieben. Lieber Herr Maier, bitte schenken sie uns das Vergnügen, und lesen sie ihn den Potsdamern am Freitag ungekürzt vor!

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