Kultur: Hüben-Drüben
Unverhofftes Wiedersehen mit Thomas Brasch
Stand:
Eine große, durchscheinende Projektionswand teilt die hochschwarze Bühne wie eine Mauer in ein Hüben und Drüben. Sie markiert den Riss, der durch Deutschland ging, bis 1989, durch so viele seiner Bewohner. Vor dieser Wand eine Frau, hinter ihr ein Mann, lesend, denkend, repetierend „Glatt die Mauern, kein Gedanke an Flucht. Drinnen ist draußen, draußen ist drinnen...“
Am Freitag gab es in der Reithalle ein „Unverhofftes Wiedersehen“ mit dem Schriftsteller und Filmautor Thomas Brasch, der im November 2001 mit sechsundfünfzig Jahren in Berlin verstarb. Was für eine Biographie: 1945 im englischen Westow geboren, zwei Jahre darauf in die sowjetischen Besatzungszone übergesiedelt, wo es der Vater später bis zum stellvertretenden Kulturminister brachte, der Sohn zum Kadetten der NVA. Wegen eines Vietnam-Programms bekam er in den Sechzigern Ärger, mehr noch 1968 wegen des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR. Ein Jahr Haft, dann Bewährung in der Produktion. Nach Zwischenstationen im Berliner Ensemble und anderswo folgte der Biermann-Affäre 1977 seine Ausreise-West. Dort aber ist er niemals angekommen. Vergeblich erwartete man von ihm Dissidenz, den Status einer öffentlichen Person. Auch künstlerisch entzog er sich („Ich stehe für niemanden anderen als für mich“) jeder Zuordnung und fragte letztlich, ob es in der DDR nicht doch besser gewesen sei. Christa Wolf erahnte und erfühlte seine Nähe zu Heinrich von Kleist, beiden lag Deutschland so schwer im Magen, dass da in ihnen ein Riss und ein Reißen war. Zu seinem Ouvre gehören Gedichte, das Theaterstück „Lovely Rita“ (1975), der Prosaband „Vor den Vätern sterben die Söhne“ (1977), der Film „Engel aus Eisen“ von 1981. Katharina Thalbach war damals seine Gefährtin.
Natürlich konnte und durfte man am Freitag nichts voraussetzen, was die Person und das Wirken dieses Mannes betraf. Im Original war diese „Unverhoffte Begegnung“ ja auch Teil eines Langen Thomas-Brasch-Abends letztes Jahr an der Filmhochschule Babelsberg, da vier seiner Stücke aufgeführt worden waren.
Jetzt hatte man sich einfach nicht die Mühe gemacht, eine eigenständige, sich selbst erklärende Fassung für die Schiffbauergasse zu produzieren. Das opus minimo von Konrad Kästner deutete zwar auch „eine Nacht“ mit diesem Autor an, dann aber ließ man es bei schlanken dreißig Minütchen bewenden. Man wollte den Riss im Menschen Brasch hüben und drüben zeigen, Ansichten seiner frühen und späteren Jahre. Nun war der Raum zum Boulevieren groß, die Einrichtung dieses Appendix freilich mehr als erstaunlich. Aus ganz und gar unerfindlichen Gründen setzte man nämlich den Deklamator Gregoire Gros quasi ins Jenseits der Hinterbühne, wo er mit dünner Simme völlig ins Leere redete. Juliane Götz deklamierte mit Blick zum zahlenden Publikum, das zwar unverhofft, aber gern mit einer so tief gehenden Materie konfrontiert worden wäre – hätte man’s wenigstens akustisch verstanden. Von spielerischen oder gar „interaktiven“ Ansätzen war ohnehin wenig zu sehen.
Niemand erfuhr ja schließlich auch, was da woraus zitiert worden ist. Letztlich war aber nicht die Kürze das Problem, sondern die unzumutbare Art der Präsentation, und dies bei einem Autor, der es ob seiner kritisch-produktiven Art schon um seiner selbst willen verdient hätte, besser behandelt zu werden. Um wie vieles mehr in Sachen modernes Theater. Gerold Paul
Gerold PaulD
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