Kultur: Humor trotz aller Widrigkeiten
In seiner 8. Sinfonie gibt sich Beethoven scheinbar gefällig und fordert die Musiker mit jedem Takt
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„Alle neun Sinfonien an vier Tagen“ heißt es ab Donnerstag bei der Kammerakademie Potsdam. Ein Konzertmarathon mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven, wie ihn das Orchester noch nie bestritten hat. In den vergangenen Wochen haben die PNN mit regelmäßigen Beiträgen über die Sinfonien 1 bis 7 auf dieses Konzerterlebnis eingestimmt. Heute geht es um Beethovens 8. Sinfonie.
Als Lehrstück des musikalischen Humors wird Beethovens 8. Sinfonie oft beschrieben. Da ist nichts Heroisches, Dramatisches oder Monumentales wie in der 3., 5. oder 7. Sinfonie. Fast schon verwirrend wirkt diese Komposition mit ihrer scheinbaren Oberflächlichkeit, ihrem luftigen Charakter und ihrer immer wieder durchbrochenen Betulichkeit. Diese Sinfonie hat Beethoven tatsächlich erst so spät geschrieben? Und auch das Premierenpublikum war nach der Uraufführung zusammen mit der 7. Sinfonie am 8. Dezember 1813 im großen Redoutensaal der Wiener Universität verwirrt. Beethoven wird das nur recht gewesen sein, denn Erwartungen zu erfüllen war seine Sache nie. Und den Musikern macht er es mit seiner 8. auch nicht gerade leicht.
„Zerrissen, mit abrupten Abbrüchen, würde ich den Charakter der 8. beschreiben. Rein vom geigerischen Gefühl her kann man nie in Ruhe spielen. Anspannen, loslassen, anspannen, loslassen – die ganze Zeit sind es diese Wechsel und diese Brüche. Dadurch wird die 8. auch wirklich anstrengend, immer muss man aufpassen, nicht zu verkrampfen“, sagt Judith Wolf, Geigerin der Kammerakademie Potsdam. „Aber es ist ja auch so, dass es Beethoven in dieser Zeit gar nicht gut ging, trotzdem schwingt die Hoffnung immer mit“, fügt Renate Loock, ebenfalls Geigerin der Kammerakademie, hinzu. „Es gibt eben keinen langsamen Satz, stattdessen steht im 2. Satz ein scherzando. Da ist immer diese Urmenschlichkeit zu spüren. Denn nur weil da scherzando steht, heißt es aber nicht, dass es lustig ist. Da ist trotzdem die Tragik, diese traurigeren Momente, die ja auch wieder etwas Beruhigendes oder was Schönes an sich haben. Dieser Zwiespalt prägt diese Sinfonie.“
Beethoven arbeitete intensiv an der 8. Sinfonie im Sommer 1812, während er an unterschiedlichen Kurorten wie Teplitz, Karlsbad und Eger weilte. Seine Schwerhörigkeit machte ihm immer mehr zu schaffen. Er hatte es sogar mit Ohrenmaschinen von Johann Nepomuk Mälzel, dem Erfinder des Metronoms, probiert. Doch alles ohne Erfolg. Goethe, den Beethoven in diesen Monaten kennenlernte, schrieb: „Sehr zu entschuldigen ist er ... und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verlässt, was vielleicht dem musikalischen Theil seines Wesens weniger als dem geselligen schadet. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun doppelt durch diesen Mangel.“
In diesen Monaten schrieb Beethoven auch den berühmt gewordenen Brief an die „unsterbliche Geliebte“, mit dem er sich endgültig von der Vorstellung verabschiedete, je in einer Beziehung zu leben und eine Familie zu haben. Hinzu kamen die ständigen finanziellen Probleme. Und dann war da noch sein jüngerer Bruder Johann, der in Linz in wilder Ehe mit seiner Haushälterin lebte und der erst nachdem Beethoven einen polizeilichen Befehl zur Ausweisung der Haushälterin erwirkte, diese heiratete. Widrige Umstände überall. Und dann schrieb Beethoven eine solche leichte und humorgespickte Sinfonie? Oder vielleicht gerade deshalb.
Denn ein Grundmotiv, das die 8. Sinfonie durchzieht, ist das der Zeit. Besonders deutlich wird das im 2. Satz, dem Allegretto scherzando, das lange als eine Hommage an den Metronomerfinder Mälzel gedeutet wurde, dem ein Kanon zugrundeliegen sollte. Aber es ist das Ticken der Zeit, ein beschwingtes Mahnen an das Vergängliche, das Beethoven hier anklingen lässt. Ein musikalisches Lächeln voller Gelassenheit ob der alltäglichen Widrigkeiten, ein humorvolles Zwinkern mit seinen überraschenden Wendungen. Und dabei zeigt sich wieder das Genie Beethovens, der in den vier recht kurzweiligen Sätzen eine scheinbare Seligkeit geschaffen hat, klangschön aber harmlos, gefällig, aber irgendwo doch schon bekannt. Doch das Spiel mit Bekannten, die deutlichen Verweise auf Joseph Haydn und die ständigen Überraschungen, diese Brüche, sind Beethovens Spiel mit der Zeit und der Erkenntnis, dass alles Neue, auch in der Musik, immer auf dem Fundament des Bekannten gründet. So schön, klar und überzeugend und vorausweisend konnte es aber nur Beethoven in der Musik ausdrücken. „Für mich als Geigerin ist gerade der letzte Satz wirklich Virtuosenmusik. Das erinnert mich jetzt schon an Schubert. Dieser letzte Satz, der ist so virtuos und quirlig“, sagt Renate Loock.
Die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda spielt vom 13. bis 16. Februar alle neun Sinfonien von Beethoven im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Weitere Informationen und Karten unter www.kammerakademie-potsdam.de
Dirk Becker
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