Kultur: Hundert Minuten Fontane Gelesen aus seinen „Reisetagebüchern“
Von Theodor Fontanes sprichwörtlicher Reisewut hat der eine oder andere sicher schon gehört. Doch selbst dem innersten Kreis seiner Adepten dürfte bisher verborgen geblieben sein, was sich der Märkische Dichterfürst dabei am Wegrand notierte und was dann später in dieses oder jenes Buch einging.
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Von Theodor Fontanes sprichwörtlicher Reisewut hat der eine oder andere sicher schon gehört. Doch selbst dem innersten Kreis seiner Adepten dürfte bisher verborgen geblieben sein, was sich der Märkische Dichterfürst dabei am Wegrand notierte und was dann später in dieses oder jenes Buch einging. Mit diesem entsetzlichen Mangel hat es nun ein Ende, denn soeben sind seine „Reisetagebücher“ in gesammelter und geordneter Form unter dem Dach der „Großen Brandenburger Ausgabe“ erschienen. Kein leichtes Ding, selbst für geübte Germanisten: Was ist bei Fontane Tagebuch-Notiz, was gehört zu den Reise-Notaten?
Die Herausgeber Christine Hehle und Gotthard Erler haben es trotzdem gepackt, und so stehen der Neugier des Lesers nun fast tausend Seiten Reiselust nebst Kommentaren zur Verfügung, es wurden sogar die eine oder andere Stelle aus dem entsprechenden Prosa-Werk zum Vergleichen beigefügt. Ein Festschmaus für jeden echten Fontane-Freund also, ein Muss für jeden märkischen Bücherschrank!
Für die Präsentation im Fontane-Archiv der Villa Quandt am Donnerstag hätte man sich freilich nicht nur ein paar Zuschauer mehr gewünscht, sondern auch den Einsatz eines Mikros, denn die gut hundert Minuten mit Fontane im Lesesaal waren nicht immer gut zu verstehen, und auch sonst nicht immer „erste Sahne“, aber was ficht dies sein Werk an?
Christine Hehle persönlich stellte diesen Dickleiber vor, darin Bekanntes und Unbekanntes, Veröffentlichtes und bislang Ungedrucktes aufeinandertreffen. Sie teilte ihren Vortrag ganz ordentlich nach Zeiten und Themen, nach Krieg und Frieden. Zuerst alles, was ab Mitte der 1860er Jahre zwischen Dänemark und Frankreich mit Waffengeklirr ausgetragen wurde. Theodor Fontane reiste ja stets in mehrfacher Funktion, als Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller, als Tourist und als Freund der Künste. Fontane besuchte und schilderte Land und Menschen, Kriegsschauplätze und Soldaten, geplante und spontane Situationen, deren manche sich in den späteren Romanen wiederfinden. Was er beispielsweise im deutsch-dänischen Krieg 1864 über Freunde und Feinde schreibt, hat keinen geringen kulturellen und historischen Wert, sollte aber auch „Fontane“ bleiben. Am Donnerstag aber bemühte man sich fast ängstlich, alles „Chauvinistische, Rassistische und Nationalistische“ darin zu orten und politisch korrekt zu neutralisieren. Merkwürdigerweise betraf das immer nur die deutsche Seite. Unter den Engländern oder Franzosen gab es damals wohl so etwas nicht, das waren alles brave Leute. Eine historisch falsche, geradezu peinliche Verengung der Perspektive!
Fontanes Reisebüchlein führte dann im Deutsch-Französischen Krieg auch zu seiner Verhaftung in Nancy im Oktober 1870, denn er hatte nicht nur Schlachtfelder, Truppenstärken und Bewegungsskizzen notiert, sondern auch jede Menge verdächtiger Namen und Adressen. Kein Wunder, wenn man ihn der Kriegsspionage bezichtigte! Weitere Reisenotizen aus England, Böhmen und Schlesien, vom Rhein und so weiter: „Die Politik war dabei immer präsent“.
Im letzten Teil trug Christine Hehle friedlichere Notizen vor, besonders aus den drei Italienreisen ab 1874, vollgepackt mit Impressionen und Kunst-Ansichten, alles lesens- und bedenkenswert, nur auf mehr als hundert Minuten etwas zu viel, fürs Erste! Gerold Paul
„Die Reisetagebücher“ Fontanes, Große Brandenburger Ausgabe, erschienen im Aufbau Verlag, 48 Euro
Gerold Paul
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