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Kultur: „Ich habe ein Recht auf den Tod“

Comédie Soleil mit „Death Row Valley“

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Comédie Soleil mit „Death Row Valley“ Die Comédie Soleil in der Feuerbachstraße gewinnt auch nach dem Charme Casanovas weiter an Profil. „Wir sind auf dem Weg“, meinte Theater-Chef Michael Klemm vor der neuen Premiere. Recht hat er, seine selbst-geschriebene Szenenfolge „Death Row Valley oder Gilmores letzter Gang“ kann sich genauso sehenlassen wie die Inszenierung aus eigener Hand. Gutes, spannendes und fruchttragendes Theater, diesmal auch mit anderen Namen besetzt. Der Text, einer wahren Begebenheit der Jahre 1976/77 folgend, beschreibt die letzte Lebenszeit der Titelfigur im Todestrakt eines US-Gefängnisses, allgemein „Death Row Valley“ genannt. Gilmore hat kaltblütig zwei Menschen umgebracht, aber die gültige Gesetzeslage in Utah verbietet es, solche Mörder hinzurichten. Zweimal ging dieser Fels von einem Mann (Marc Marchand) den „letzten Weg“, zweimal kam er ungerührt zurück, in diese kleinen Gitterzellen mit Pritsche und Klo, wo auch sein Nachbar wartet, ein psychisch labiler Schwarzer namens Pebbles (Sebastian Wirnitzer), der Frauen vergewaltigt und zerstückelt hatte. Während draußen menschenrechtlich für das Leben Gilmores demonstriert wird und drinnen jede Menge Sympathie-Briefe (sogar andere Mörder beten für ihn) eingehen, steht Gilmore zu seiner Tat. Er will unbedingt hingerichtet werden, ohne zerfetzende Reue zu zeigen wie sein Nebenan: „Das Leben ist nun mal nicht fair!“ Aber man darf ja nicht. Bevor sich das auf der klassisch-traktierenden Bühne von Peter Picciani ändert, heißt es warten. Jack Dixon (Nenad Zanic) als Chef dieser Todesabteilung ist das, was man einen „guten Amerikaner“ nennt. Er verurteilt Gilmores Tat, bemüht sich aber immer wieder, ihn zu „verstehen“. Andererseits verzweifelt er schier an den so unentschlossenen wie feigen Administratoren „da oben“. Der subordinierte Wärter Bill hingegen will Schuld auch mit Sühne bestraft sehen. Giorgio Vindini spielt ihn als „law and order“-Typ unaufwändig und konsequent. Er geht dann auch knallhart gegen Pebbles vor. Der dritte Schließer (Sebastian Döring) ist ganz Funktion. Gilmore selbst scheint in dieser Inszenierung eine „konfliktlose“ Figur zu sein, bei ihr gibt es nichts zu gewinnen, nichts zu verlieren. „Ich habe ein Recht auf den Tod. Ich will nur ihre Augen sehen. Sehen, wie sie es machen“. Charakterkopf Marc Marchant spielt diese Rolle mit präziser Sprache ganz aus dem wohlgestalteten und melodischen Wort heraus, kantig, kalt und sternenklar. Nicole, die Frau seines Lebens, ist im Stück eine erzählende „Brückenfigur“ ohne erkennbare Mission. Als solche hätte Nadja Winter im Privattheater Raum genug für ihre Repliken – vielleicht im Parkett, wo man so viele Premierengäste sah wie beim „Casanova“ – nur innerhalb des Todestraktes eben nicht. Was außen ist, muss draußen bleiben. Klemms Inszenierung, wieder mit ruhigem Lauf, setzt auf Realismus, auf das Wort, auf Atmosphäre, wozu auch diesmal eine brillant gewählte Musik aus dem Off gehörte. Fast völlig ausgewogen, verschafft sie fast jeder Figur ein Recht und bezieht nirgends Partei, nicht einmal für oder wider die Todesstrafe. Auch die Sympathiewerte sind gut gemessen. Das zahlte sich aus, das Publikum folgte dieser Balance mit Spannung, verstand die Tragweite der letzten Entscheidung, als Gilmore nicht mehr zurückkam. Schönes Detail: Mit einer raschen Geste (mehr davon) winkt Pebbles ihm nach, bevor er sich auf seiner Pritsche verkriecht. Dann ist er selbst an der Reihe. Utah hat das alttestamentarische Recht zurückgeholt, die Welt geht ihren Gang. Gerold Paul Nächste Vorstellungen 10. bis 13. März, 20 Uhr.

Gerold Paul

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