Kultur: „Ich habe Feuer gefangen“
Dagmar Manzel vor ihrem Auftritt mit der Kammerakadmie über die Goldenen Zwanziger
Stand:
Frau Manzel, sind die Goldenen Zwanziger Ihr Revier?
Ja, zumindest musikalisch sind diese Jahre für mich eine Fundgrube. Alle Aufführungen und Programme, die ich zum Teil in der Komischen Oper gemacht habe und machen werde, kommen von Komponisten aus dieser Zeit. Ob das Paul Abraham ist oder Werner Richard Heymann, ob das Kurt Weill, Hanns Eisler und natürlich Friedrich Hollaender sind, diese Musik und diese Texte haben mich ungemein geprägt. Das ist im Grunde mein Spezialgebiet, weil sich diese Musik wunderbar eignet für einen singenden Schauspieler.
Warum?
Viele dieser Texte, auch die frühen Lieder von Hollaender, kommen ja aus dem Cabaret. Und daher sind die immer auch mit Schauspiel verbunden. Cabaret, die kleine Bühne, also der direkte Kontakt zum Zuhörer, das ist für mich als Schauspielerin natürlich ein gefundenes Fressen. In den 20er-Jahren war es auch noch üblich, dass die Schauspieler auch eine Gesangsausbildung hatten und nach ihrer Theatervorstellung noch ins Cabaret gefahren sind und dort ihre Lieder gesungen haben.
Wann sind Sie auf diese Fundgrube gestoßen?
Geprägt haben sie mich erst, als ich schon längst Schauspielerin war, obwohl ich damit groß geworden bin. Montags lief im DDR-Fernsehen immer „Willi Schwabes Rumpelkammer“ mit vielen Operetten und Filmmusiken. Daher kannte ich schon die Lieder von Werner Richard Heymann, ohne zu wissen, wer dieser Heymann war. Wirklich entdeckt habe ich ihn dann durch die Arbeit an meinem ersten Liederabend „Eine Sehnsucht, egal wonach“ im Deutschen Theater vor 20 Jahren. Da habe ich auch Hollaender, Tucholsky und Eisler gesungen. Da habe ich natürlich Feuer gefangen.
Friedrich Hollaender ist einer der Komponisten aus dieser Zeit, der Sie bis heute mit am stärksten prägt.
Aber angefangen hat es bei mir mit Werner Richard Heymann. Da gibt es ein Lied, das ist mein Lied, denn das begleitet mich schon über 40 Jahre: „Irgendwo auf der Welt“. Das habe ich schon als Kind gehört. Von Hollaender habe ich lange nur ein, zwei Lieder gesungen. Durch die Liederabende habe ich dann immer mehr nach Stücken gesucht, die mich regelrecht anspringen. Und Hollaender habe ich da sehr lange umschifft, weil er doch schon sehr stark durch Marlene Dietrich und seine frühen Lieder durch Blandine Ebinger besetzt sind. Nehmen wir da nur den Zyklus „Lieder eines armen Mädchens“, den Hollaender für sie ja komponiert hat. Das sind Interpretationen, die einfach da sind. Denen muss man sich stellen. Damit habe ich aber lange gewartet, mir noch viele andere Aufnahme angehört, bis ich mich in Hollaender verliebt habe.
Warum gerade in Hollaender?
Er hat sich ja selbst als lachenden Melancholiker bezeichnet. Und seine Lieder, zu denen er ja fast alle Texte selbst geschrieben hat, sind so stark, so lebendig und gehen so nah. Gerade erst hatte ich ein Konzert. Und es ist immer wieder unglaublich, wie sehr diese Lieder den Menschen zu Herzen gehen.
Was passiert bei Ihnen, wenn Sie diese Lieder immer und immer wieder singen?
Wenn ich Lieder singen soll, müssen die durch mich hindurchgehen. Wenn jemand zu mir kommt und sagt: Hier dieses Lied, sing das mal, du machst da schon was draus – das funktioniert bei mir nicht. So ein Lied muss mich anspringen. Aber das ist ein langer Weg. Bei dem Heymann-Programm haben wir über ein Jahr, beim Hollaender-Programm ein Dreivierteljahr gearbeitet. Ich habe diese Lieder immer wieder gesungen, habe immer wieder überlegt, wie ich sie interpretieren kann. Dadurch werden das meine Lieder, dann singt das aus mir.
Wie interpretieren Sie diese Lieder?
Indem ich mich zurücknehme. Ich stehe hinter dieser Musik und verschenke die Lieder. Ich setze mich nicht drauf, was man bei manchen Liedern wie „Die Kleptomanin“ oder „Hysterische Ziege“ machen kann. Die bieten sich ja förmlich als richtige Cabaret-Nummern an. Aber das wollte ich nicht. Ich bin nur das Medium. Dadurch kann ich diese Lieder immer und immer wieder singen, ohne dass sie sich abnutzen, weil sie mich immer wieder bewegen, mich berühren, mich traurig oder melancholisch stimmen.
Hollaender steht auch auf dem Programm Ihres Konzerts mit der Kammerakademie Potsdam.
Ja, wir werden sechs Hollaender-Lieder spielen, für die Joachim Schmeißer damals die Arrangements für das Orchester der Komischen Oper geschrieben hat. Und das in der Kombination mit Eisler und Weill. Vor allem aber Eisler, den ich auch für mich entdeckt habe. Wenn da die Kammerakademie anfängt zu spielen, dann fegt es mich förmlich weg. „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“, da frage ich mich immer wieder, wann das geschrieben wurde. Vor 80 Jahren? Wo das doch so aktuell ist. Diese Kombination von Hollaender, Weill und Eisler, das ist das Besondere und auch die Herausforderung an diesem Abend.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Dagmar Manzel ist mit der Kammerakadmie Potsdam am heutigen Samstag im Rahmen der Saisoneröffnung um 19 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11, zu erleben. Der Eintritt kostet zwischen 8 und 30 Euro
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