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Kultur: „Ich hatte nie einen Lebensplan“

Im Dezember besucht der bekannte Drehbuchautor Jean-Claude Carrière Potsdam. Ein Gespräch

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Auf Einladung von Volker Schlöndorff wird im Dezember der bedeutende französische Drehbuchautor, Szenarist und Schauspieler Jean-Claude Carrière (75) nach Potsdam kommen. Das Filmmuseum beginnt morgen mit der Doppel-Retrospektive Carrière-Schlöndorff. Carrière arbeitete mit Jacques Tati, Louis Buñuel, Louis Malle, Jean-Luc Godard und vielen anderen. Filme wie „Belle de jour“, „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ oder „Cyrano de Bergerac“ tragen seine Handschrift. Mehr als 80 Drehbücher, fast 50 Romane und Essays, zahlreiche Theateradaptionen umfasst sein Werk. Seine Schaffenskraft ist ungebrochen, zurzeit arbeitet er an drei Projekten, darunter auch ein Film mit Volker Schlöndorff.

Herr Carrière, Sie können auf eine außergewöhnliche Karriere zurückblicken. Haben Sie das geplant?

Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte nie einen Lebensplan. Ich hatte einfach Lust zu schreiben. Natürlich freut man sich, wenn man gelesen wird. Und ich hatte auch Glück. Jacques Tati hat mich 1957 ausgewählt, damit ich von seinen Filmen die Romanfassung mache.

Sie schreiben Romane, Drehbücher, Sie adaptieren Theatervorlagen, Sie übersetzen Theaterstücke, Sie sind Schauspieler. Können Sie angesichts Ihrer vielfältigen Tätigkeiten ein Zentrum Ihres Interesses bestimmen?

Mich interessiert das Schreiben in allen seinen Formen. Film, Radio und Fernsehen haben viele neue Arten des Schreibens hervorgebracht, und das interessiert mich. Mich bewegen Fragen wie: was unterscheidet die Sprache des Films von der des Theaters oder vom Roman? Zurzeit arbeite ich gerade an dem Roman eines Films von Milos Forman (Goya’s Ghosts), mit dem ich auch das Drehbuch geschrieben habe. Während Forman dreht, mache ich mir Notizen für den Roman.

Kann man sich eine Romanadaption eines Filmstoffes wie eine Art Übersetzung vorstellen?

Nein überhaupt nicht. Es ist einfach eine andere Art zu schreiben. Manche glauben ja, dass Drehbuchschreiben wie das Schreiben eines Romans sei. Das ist ein Irrtum. Ein Drehbuch ist die erste Form des Films. Und der ist vergänglich, Literatur dagegen bleibt.

Sie haben mit unterschiedlichen Regisseuren gearbeitet, die Liste ist lang. Wie unterscheiden sich die Regisseure?

Jeder Regisseur hat eine Handschrift und eine andere Art zu arbeiten. Manche sind eher technisch orientiert, andere arbeiten spontan, das ist vollkommen unterschiedlich. Interessant für mich dabei sind die unterschiedlichen Herangehensweisen, jede hat ihre Berechtigung und führt zu einem guten Ergebnis. Der Drehbuchautor muss sich darauf einstellen.

Wollten Sie nie selbst Regie führen?

Wissen Sie, wenn Sie Regisseur eines Films sind, müssen sie zwei bis drei Jahre für einen Film rechnen. Das ist mir einfach zu lang. Das Leben ist so reich und interessant, ich suche die Abwechslung.

Sie sind gerade von einem Dreh mit Volker Schlöndorff aus Kasachstan zurückgekommen.

Ich hatte eine Idee zu einem Film und habe Volker gefragt, ob er nicht Lust darauf hat. Er hatte. Der Film heißt „Ulzhan“, das ist ein Frauenname. Die Hauptfigur, ein Franzose, gespielt von David Bennent, kommt nach Kasachstan und begegnet verschiedenen Menschen. Er ist lebensmüde, aber die Begegnung mit Ulzhan verändert seine Einstellung. Die kasachische Landschaft ist vollkommen unbekannt, es gibt da viel zu entdecken. Es gibt keine Dörfer, denn die Einwohner waren immer Nomaden, es gibt also diese einzigartige Landschaft und dazwischen diese Sowjetstädte. Ein merkwürdiges Land. Volker Schlöndorff und ich kennen uns eine Ewigkeit. Irgendwann hat er gefragt, ob ich nicht mit an der Blechtrommel arbeiten wollte. Seit der Zeit haben wir immer mal wieder zusammen gearbeitet – und ich habe so auch Günter Grass kennen gelernt.

Was halten Sie von dem Skandal um Günter Grass?

In jedem von uns steckt ein kleiner Richter, der sich immer mal wieder ganz groß machen will. Ich kenne Grass als integren Menschen, als wunderbaren Intellektuellen.

Sie haben sich viel mit Religionen beschäftigt, Sie sind in einer katholischen Umgebung aufgewachsen, aber Atheist. Wieso dieses starke Interesse?

Ich glaube nicht an Gott oder ein ewiges Leben, aber ich finde es spannend, wie die Menschheit mit Fragen zur Religiosität umgeht. Natürlich bin ich gegen jeden Fanatismus – gegen den islamischen Fanatismus ebenso wie gegen den katholischen oder jüdischen. Nachdem ich mit Peter Brooks lange über Hinduismus nachgedacht hatte („Mahabharata“, 1989), wollte ich mehr über den Buddhismus wissen. Seither kenne ich den Dalai Lama. Der Buddhismus ist eigentlich gar keine Religion, sondern eine sehr intelligente Denkschule.

Mit Peter Brooks haben Sie immer wieder intensiv gearbeitet

und ich tue es noch. Brooks ist einer meiner drei „Meister“. Die beiden anderen, Jacques Tati und Louis Buñuel, sind leider schon tot. Aber Brooks ist quicklebendig, eine inspirierende Persönlichkeit und ich liebe es, mit ihm zu arbeiten. Ein großartiger Theatermann.

Grämt es Sie, dass Sie nicht ganz so berühmt sind wie etwa Buñuel?

Wissen Sie, mein Ziel war es nie, reich und berühmt zu werden. Ich wollte ein interessantes Leben führen, wollte schreiben und mich mit Themen beschäftigen, die mich angehen. All das ist passiert.

Und dazu sind Sie auch noch reich und berühmt geworden!

Ja

Das Gespräch führte Lore Bardens

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