zum Hauptinhalt
Lesen statt Hören. Stricker ist eigentlich Hörspielregisseur. Die Kriminaltragödie „Schlecht Aufgelegt“ ist sein Debütwerk als Buchautor.

© Andreas Klaer

Kultur: „Ich konnte nicht abdriften“

Sven Stricker über seinen sehr persönlichen Debütroman, sein gespaltenes Verhältnis zu Berlin und die neue Heimat Potsdam

Stand:

Herr Stricker, in der Kriminalkomödie „Schlecht Aufgelegt“ treffen zwei sehr unterschiedliche Figuren aufeinander: Der etwas unbeholfene Kuli, der gerade aus Mülheim an der Ruhr nach Berlin gekommen ist, und der scheinbar abgebrühte Paul. Wer ähnelt Ihnen mehr?

Das hängt von der Tagesform ab. Es gibt einige Parallelen zu Kuli, aber auch zu Paul. Das Buch ist sowieso Patchwork: Etliche Figuren sind entweder ich selbst oder bestehen zumindest aus Teilen von mir.

Zum Beispiel sind Sie wie Kuli in Mülheim an der Ruhr aufgewachsen. Was hat Sie nach Potsdam verschlagen?

Ich bin vor fünf Jahren der Liebe wegen nach Berlin gegangen und habe dann ein Jahr lang in der Bergmannstraße gewohnt. Aber als meine Partnerin und ich eine Tochter bekommen haben, wollten wir etwas Ruhigeres. Da hat sich Potsdam angeboten. Ich habe es auch nie bereut, in Berlin habe ich mich nie sonderlich wohl gefühlt.

War es in Potsdam leichter, anzukommen?

Ja, mit kleinem Kind sowieso. Auf dem Spielplatz lernt man automatisch Menschen kennen, und man kann eigentlich nicht auf die Straße gehen, ohne jemanden zu treffen, den man kennt. Trotzdem kann man noch anonym genug bleiben.

Haben Sie auch schon – wie Kuli und Paul – in einem Call-Center gearbeitet?

Ja, als Student, vier Jahre lang.

Und? Sind die Menschen, die dort arbeiten, wirklich so schräg wie im Buch?

Natürlich nicht alle, im Buch ist das überspitzt dargestellt. Was aber der Realität entspricht, ist, dass zumindest damals keiner freiwillig ins Call-Center ging. Die Kollegen waren Landschaftsgärtner oder hatten mal eine Werbeagentur und mussten irgendwann dort anfangen, um sich oder ihre Familie zu ernähren. Sie waren die ganze Zeit damit beschäftigt, das zu rechtfertigen und zu behaupten, dass sie eigentlich was anderes sind.

Und die Anrufe? Waren die auch so ermüdend, nervig und herablassend wie in „Schlecht Aufgelegt“

Es ist glaube ich schon so, dass man oft nicht mit Respekt behandelt wird, wenn man nicht gesehen wird. Es wird viel abgeladen und man lädt dann automatisch auch viel zurück. Dadurch ergeben sich dann oft sehr unglückliche Kundenkontakte. Und auch den Kriminalfall habe ich fast so wie im Buch erlebt. Ich hatte Nachtschicht und musste unfreiwillig belauschen, wie ein Mann eine Frau offenbar übel zurichtet. Offenbar war sie aus Versehen oder auch absichtlich auf eine Kurzwahltaste gekommen und hatte dann mich am Telefon. Sie schrie wie am Spieß und heulte und ich rief immer wieder „Hallo, hallo“, aber anscheinend hörte mich keiner. Ich habe dann mit zittrigen Fingern versucht, zur Polizei durchzustellen, aber die Nummer war unterdrückt, deshalb ging das nicht. Am Ende war die Verbindung einfach weg und ich konnte nichts mehr machen. Das ist der Unterschied zu der Geschichte im Buch. Ich habe danach keinen Kriminalfall aufgedeckt, sondern bin nach Hause gefahren und musste erstmal eine Auszeit nehmen. Das war sehr traumatisierend.

Kuli ist ein passionierter Musik-Fan und hat seine ganze Wohnung voller Platten. Ist Ihre Sammlung so groß wie seine?

Nein, nicht ganz. Aber schon ziemlich groß. Auch der Musikgeschmack von Kuli ist derselbe wie meiner. Beim Schreiben habe ich manchmal gedacht, dass die Ausführungen zu den einzelnen Musikern bestimmt die meisten langweilen. Aber das war mir egal. Wenn sich aufgrund dieses Buches auch nur ein Mensch eine Gil-Scott-Heron-Platte kauft, dann hat sich das Schreiben schon gelohnt.

Der Roman basiert ja auf dem von Ihnen geschriebenen Hörspiel „Böses Ende“. Wie kamen sie dazu, ein Buch daraus zu machen?

Vor etwa eineinhalb Jahren war ich sehr krank und über ein halbes Jahr ans Bett gefesselt. Da blieb mir fast gar nichts anderes übrig als zu schreiben. Und dieser Komödienstoff hat mir tagsüber gute Laune beschert. Schon nach 50 Seiten hatte ich die Rechte verkauft. Also hatte ich auch die Motivation, weiterzuschreiben, weil ich wusste, es wird veröffentlicht. Auch wusste ich schon sehr früh, dass es verfilmt wird. Derzeit wird der Stoff zu einem Drehbuch umgearbeitet, Studio Hamburg hat die Rechte.

Wie funktioniert das, wie arbeitet man ein Hörspiel zu einem Roman um?

In dem man das Hörspiel wie ein Exposé behandelt. Ehrlich gesagt war es sehr einfach, das Buch zu schreiben, weil ich immer wieder zu dem Plot zurückmusste und nicht abdriften konnte. Die Dialoge sind im Grund die gleichen wie im Hörspiel, nur dass sie ausführlicher sind und drumherum viel mehr passiert.

Gibt es auch schon ein neues Projekt?

Derzeit arbeite ich wieder an mehreren Hörspiel-Produktionen, zum Beispiel steht der nächste Radio-Tatort für den NDR an. Aber ich würde auch gerne mit den Figuren aus „Schlecht Aufgelegt“ weiterarbeiten. Aber erst mal sehen, wie der Verkauf so läuft. Das Buch ist ja gerade erst rausgekommen.

Müssen Sie dann wieder nach Berlin ziehen, um Stoff für den Nachfolge-Roman zu bekommen? Oder bleiben Sie Potsdam treu?

Nein, ich kann mir momentan nicht vorstellen, aus Potsdam wieder wegzugehen. Ich fühle mich hier sehr wohl, die Stadt ist genau die richtige Umgebung für mich.

Die Fragen stellte Katharina Wiechers

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })