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Kultur: „Ich sitze mit offenem Mund davor“

Einer stellt sich dem Grauen - Gespräch mit dem Medienkritiker Oliver Kalkofe, der am 8. Januar in Potsdam seine Tour „Kalkofe Live 2009“ startet

Stand:

Herr Kalkofe, ein vom Leben gezeichneter Straßenmusiker wird zum Supertalent gekürt und verzückt die Ohren der Deutschen mit seinem Mundharmonikaspiel. Ist das nicht ein wunderschönes Märchen, das uns das Fernsehen mit Michael Hirte geschenkt hat?

Wenn ich ganz ehrlich bin: Ja. Es laufen schließlich genug Sackgesichter rum, die es meiner Meinung nach nicht verdient haben. Gerade war Weihnachten und da darf ein klein wenig Kitsch erlaubt sein, auch wenn das alles inszeniert ist. Diese kleinen Momente in denen das Fernsehen, wenn auch ungewollt, etwas Positives bewirkt, darüber freue ich mich viel mehr als über einen weiteren Samstagabend mit Uri Geller, der Nachrichten ins All schickt und sich dann mit uns gemeinsam drei Stunden lang wundert, warum keiner antwortet.

Abgesehen von diesen kleinen Momenten, die Positives bewirken, gibt das Fernsehen auch Randgruppen Raum zur besten Sendezeit wie die Reihe „Bauer sucht Frau“ zeigt. Da werden ernste demografische und gesellschaftliche Probleme angesprochen.

Es ist natürlich immer spannend festzustellen: Oh mein Gott, ich habe nicht geahnt, dass solche Menschen existieren. Ich habe mir die Realität nicht so furchtbar vorgestellt. Natürlich ist es ganz erfrischend zu sehen, dass es Leute gibt, die noch bescheuerter sind als man selbst. Für den Zuschauer ist das alles sehr erfreulich und darum funktionieren solche Formate auch. Die Grundfrage aber lautet: Ist das moralisch vertretbar, Leute so vorzuführen, die gar nicht merken, was da gerade mit ihnen passiert.

Das sind erwachsene Menschen.

Ja, die sind wahlberechtigt, die dürften eigentlich alles tun. Warum sich nicht auch lächerlich machen, wenn die das gern möchten. In solchen Fällen merken wir immer wieder, dass die Demokratie an ihre natürlichen Grenzen stößt.

Das Fernsehen hilft aber auch zum persönlichen Glück. Der FKK-Bauer Hansi soll seine neue Liebe in der Mutter des Bauern Heinrich gefunden haben und dessen „Schäferlied“ hat es fast schon in die deutschen TopTen geschafft.

Natürlich ist das persönliches Glück. Ich gönne es ihnen auch. Aber ich wollte es doch gar nicht wissen. FKK-Bauer Hansi, Bauer Heinrich und den ganzen Big-Brother- und Superstar-Versagern, die fröhlich auf allen Bierfesten herumgereicht werden, fehlt aber die nötige Selbstironie und Distanz um zu erkennen, warum wir über sie lachen. Wenn sie dann in Ungnade fallen, ist das für diese Menschen sehr bitter und sehr traurig. Das tut mir leid. Aber wie schon gesagt, daran sind sie auch selbst schuld. Da fragt man sich manchmal schon, ob Entmündigung als Hilfe nicht doch erlaubt sein sollte.

Ist das der Grund, warum Sie gegen das Fernsehen zu Felde ziehen?

Dafür gibt es viele Gründe. Ich bin sehr enttäuscht, dass das Fernsehprogramm inzwischen zum größten Teil darin besteht, Leute, die sich nicht wehren können, vorzuführen und fast nur noch Formate zu senden, die schnell einen kleinen finanziellen Erfolg bringen, ohne dass sich damit wirklich einer Mühe gibt. Das Fernsehen ist mittlerweile zu einem reinen Geschäftsmodell verkommen.

Schon Ende 2006 haben Sie festgestellt: Unser Fernsehen ist am Ende. Nun ist das vor der Mattscheibe sitzen noch immer des Deutschen Lieblingsbeschäftigung.

Fernsehen ist die Triebfeder des kulturellen Lebens für den Großteil der Menschen, da brauchen wir uns gar nichts schön zu reden. Viele kommen abends nach Hause, sind froh, wenn sie vor dem Fernseher Entspannung finden und dabei der Geist abgelenkt aber nicht überanstrengt wird. Deswegen ist Fernsehen das Nutzmedium Nummer eins. Aber der normale Zuschauer kann nur aus dem auswählen, was angeboten wird. Und wenn ihm fünf Haufen Scheiße vorgesetzt werden, greift er den, der am wenigsten stinkt.

Die Menschen schauen sich das doch an?

Ja, aber das bedeutet ja nicht, dass die das mögen. Wenn Sie einem Gefangenen immer nur Wasser und Brot hinstellen und der das isst, behaupten Sie doch auch nicht ernsthaft, der mag das, der findet das total super. Der hat gar keine andere Wahl. Wir haben auch keine andere Wahl und das ist es, was es so schlimm macht.

Überraschen Sie neue Tiefpunkte im Deutschen Fernsehprogramm überhaupt noch?

Das meiste kennen wir ja schon und reagieren mit einer gewissen Lethargie: Oh Gott, nicht das schon wieder. Da verliert man selbst die Lust, etwas dagegen zu sagen. Aber es gibt immer noch überraschende Momente, sowohl bei den öffentlich-rechtlichen als auch bei den privaten Sendern, regelrechte Highlights im alltäglichen Fernsehwahnsinn. Da sitze ich mit offenem Mund davor.

Welche „Highlights“ waren das?

Das war natürlich bei Pro7 die Uri-Geller-Show „Ufos & Aliens“. Jeder, der sich die Schuhe allein zubinden kann, sagt doch sofort: Was für eine Scheißidee. Und trotzdem wurde es gemacht, und wie das gemacht wurde, das war wirklich granatenmäßig. Da wurde ich sogar als Comedy-Autor neidisch. Selbst wenn ich auf eine solche Idee für einen Sketch gekommen wäre, hätte ich die verworfen und gesagt, das ist doch zu albern. Die Öffentlich-Rechtlichen haben zwei Wochen zuvor, ebenfalls an einem Samstag zur besten Sendezeit, das Gleiche in ihrer Art geschafft: Das Musikhotel am Wolfgangsee. Ein inhaltlicher, stilistischer, ach was sage ich, in jeder Form produzierter Rückschritt um Jahrzehnte und das so schlecht, so dumm und so furchtbar, wie ich es so noch nie erlebt habe. Das war das absolute Grauen, Verarschung pur. Dafür müssten die Verantwortlichen jedem GEZ–Zahler persönlich einen Entschuldigungsbrief schreiben.

Wie halten Sie dieses Grauen aus?

Ich schaue mir das nicht freiwillig an. Ich setze mich abends nicht in den Sessel und denke: Schön, endlich Feierabend, mal schauen, was im Fernsehen so läuft. Beruflich für die „Mattscheibe“ muss ich stapelweise Aufnahmen sichten. Das ist nicht lustig und ich rechne da auch mit psychischen Langzeitschäden.

Wie viel Fernseher haben Sie schon zerschlagen?

Das habe ich noch nicht getan. Wenn ich mich dabei nicht im Griff hätte, das könnte doch kein Mensch bezahlen. Aber ich muss schon aufpassen, dass ich nicht zum Kalk mutiere und alles zerschlage.

Es wirkt fast schon schizophren: Mit ihrer Sendung Kalkofes Mattscheibe wettern Sie, als Teil des Systems, im Fernsehen gegen das Fernsehen.

Ich sehe mich in der Tradition eines Arztes. Ein Arzt geht unter die Kranken, versucht sie zu heilen, macht den einen oder anderen gesund, freut sich und schon liegen drei neue Kranke auf der Pritsche. Ich sehe da keinen Widerspruch, wenn ich im Fernsehen gegen das Fernsehen agiere. Ich könnte mich natürlich auch auf eine Kiste in den Park stellen und den ganzen Tag lang sagen, wie furchtbar das alles ist. Das hört aber keiner und hilft auch nicht.

Klaus Baumgart von Klaus & Klaus hat sie vor 13 Jahren verklagt, als Sie ihn „Freund Speckboulette“ nannten. Heute soll es unter Moderatoren schon als Adelsschlag gelten, in Ihrer Sendung parodiert zu werden. Was die Wirksamkeit solcher Kritik betrifft, scheint es so, als ob Ihr Kampf gegen den alltäglichen TV-Irrsinn vergeblich ist.

Natürlich haben viele schnell erkannt, dass es nichts bringt, wenn man bei einer solchen Kritik durchdreht und sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Es bringt mehr, wenn man selbst als Opfer meiner Attacken darüber lachen kann oder zumindest so tut. Und das macht es immer schwieriger. Gerade durch TV-Total hat jedes Opfer gelernt, dass es mitspielen muss, sich auslachen muss, dann verkauft es noch mehr als vorher. Das ist zum Teil wirklich eine bittere Erkenntnis.

Trotzdem machen Sie weiter?

Wir müssen damit leben, dass wir gegen die Medien, die wir selber erschaffen haben, nicht mehr ankommen. Wir haben jetzt dieses Monster. Die Frage ist, ob wir es einfach wüten, um sich schlagen und Kindern die Köpfe abbeißen lassen oder versuchen es zu erziehen.

Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Monster in Schach zu halten?

Ich sehe mich da nicht nur in der Tradition eines Arztes sondern auch in der eines Superhelden. Ich bin ein wenig wie Spiderman und halte mich an den Satz: Aus großer Kraft folgt große Verantwortung. So kämpfe ich gegen einen Superschurken nach dem anderen. Kaum hat Spiderman den grünen Kobold besiegt, kommt auch schon Doktor Octopus um die Ecke. So ist das auch bei mir. Kaum ist der Moik weg, kommt auch schon der Silbereisen an.

Das ist das Schicksal des Superhelden.

Ja, es wird nicht besser, geht immer nur so weiter. Aber einer muss den Job machen.

Wie sieht Ihrer Meinung nach ein ideales Fernsehprogramm aus. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit Arte.

Nein, nein, ich gehöre nicht zu den Menschen, die immer behaupten, sie schauen nur 3sat und arte und gelegentlich eine gute Dokumentation. Ein gutes Fernsehen hätte von allem etwas zu bieten. Dazu gehört sowohl in richtigen Maßen das Inszestfest der Volksmusik als auch ein schöner Rosamunde-Pilcher-Film. Es gibt nicht das gemeinsame Familienfernsehen, wo sich die ganze Familie, drei Generationen, versammelt, an den Händen hält und sich freut, was für ein tolles und buntes Programm ihnen geboten wird. Wir brauchen viele verschiedene Sendungen für viele verschiedene Zuschauer. Und dabei ist vor allem eines wichtig. Der Zuschauer muss das Gefühl haben, dass er ernst genommen wird und der Sender wirklich etwas für ihn macht. Nicht das da ein Bruce Darnell durch die Gegend hüpft und irgendwelche Frührentner stylt.

Würde ein solches Fernsehprogramm Sie nicht arbeitslos machen?

Nö, denn es wird nie ein nur gutes und anspruchsvolles Fernsehen geben. Die große Masse braucht den einfachen Stoff und dazu gehört auch der Schwachsinn.

Eine Zukunft des Fernsehens könnte in der Selbstparodie liegen. Ein Privatsender hat kürzlich in einer Comedy-Sendung Stars der Volksmusik ein sehr inniges und körperliches Verhältnis zu Tieren und Verwandten unterstellt. Das kommt doch immer gut an.

Ja, das kommt natürlich sehr gut an, weil es sehr simpel ist und zumindest teilweise wahrscheinlich auch der Wahrheit entspricht. Aber dieser Trend macht mich nicht wirklich glücklich. Diese Zwangsironisierung, diese falsche Fröhlichkeit, die da zwanghaft zur Schau gestellt wird, kann sehr schnell in boshaften Zynismus umschlagen. Eine gewisse Ernsthaftigkeit in Sachen Fernsehen sollten wir uns schon noch erhalten.

Auffallend an Ihrer Medienkritik „Kalkofes Mattscheibe“ ist, dass sie sehr oft in Frauenrollen schlüpfen, sich schminken, Kleider und Perücken tragen. Abgesehen von der offensichtlichen Parodie, gibt es dafür auch noch andere, tiefenpsychologische Gründe?

Ja, eigentlich möchte ich lieber eine Frau sein. Da kämpfe ich schon lange drum, aber ärztlich bin ich da noch nicht weiter gekommen. Darum habe ich mir gesagt, dass ich mir einen Job suchen muss, wo ich das ausleben kann.

Und dafür auch noch Geld bekommen.

Genau. Aber erschreckend ist, dass ich in so vielen Verkleidungen exakt so aussehe wie meine Mutter. Oder ein anderes Mal genau wie Barbara Salesch. Das ist nicht leicht, auch wenn Sie darüber lachen. Das ist wirklich hart, damit muss man erst einmal fertig werden.

Werden wir Sie trotzdem bei Ihrem Auftritt in Potsdam, der Auftakt Ihrer Deutschlandtour „Kalkofe Live 2009“ ist, in Frauenkleidern erleben?

Auf der Bühne, live in Frauenkleidern, wohl nicht. Nach der Show, wenn ich Feierabend habe, dann natürlich.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Oliver Kalkofe startet „Kalkofe LIVE 2009“-Show am Donnerstag, 8. Januar, 20 Uhr in der Waschhaus Arena, Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet im Vorverkauf 20, an der Abendkasse 25 Euro.

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