
© Hagen Immel
„Ich war plötzlich so traurig, so hilflos, so verraten“: Bernd Richter erinnert sich an seine Haft im Potsdamer Stasi-Gefängnis
Er war Leistungssportler an der Sportschule, als er mit 16 Jahren wegen Republikflucht in das Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße inhaftiert wurde. Bernd Richter will die Erinnerungen wachhalten und führt als Zeitzeuge durch die heutige Gedenkstätte.
Stand:
„Ich zeige dir meine Zelle, das Haus wurde gerade als Gedenkstätte eröffnet“, sagte ich im Sommer 1996 zu meiner Tante aus Stuttgart, die meine Familie und mich erstmals in Potsdam besuchte. Völlig unbedarft gingen wir durch die berüchtigte, grüne Eingangstür der Stasi in der Lindenstraße 54 und kamen auf den Gefängnishof.
An diesem Ort war ich 1972 als 16-jähriger Junge und erfolgreicher Leistungssportler einer Sporteliteschule wegen Republikflucht inhaftiert worden. Es drohte eine zweijährige Haftstrafe ohne Bewährung. Nun aber war kein Mensch zu sehen oder zu hören, auch kein Straßenlärm.
Über den Hof mit den vielen Kerkerfenstern näherten wir uns dem Hafthaus. Die Luft darin war stickig, staubig und modrig. Vor den ersten Zellentüren konnte ich plötzlich nicht weiter gehen, mein Herz pochte immer schneller, ich bekam Panik. Rien ne va plus – nur noch die vielen Tränen und Ungläubigkeit über mich selbst. Ich war plötzlich so traurig, so hilflos, so verraten!
Noch Monate danach erschienen schlimme Erinnerungen und Bilder in meinen Gedanken und Träumen. Erst 2004 hatte ich wieder Kontakt mit diesem Ort. Mein Sohn bat mich, ihn und seine Ausbildungsklasse zur Gedenkstätte zu begleiten und über meine Erlebnisse zu berichten.
Auch dieser Besuch fiel mir sehr schwer und meine Erzählungen waren noch sehr begrenzt, zurückhaltend und immer ein Kampf mit den Tränen. An diesem Tag sprach mich die damalige Gedenkstättenleiterin Gabriele Schnell an, ob ich mir vorstellen könne, als Zeitzeuge ehrenamtlich an diesem Ort oder in Schulen über meine Hafterfahrungen zu sprechen.

© Stiftung Gedenkstaette Lindenstrasse Foto Eberhard Thonfeldt
Ich fand diesen Vorschlag irgendwie interessant, zumal mein Jugendtraum, Lehrer zu werden, nicht in Erfüllung gegangen war. Ein erster Kontakt mit der Gedenkstättenlehrerin Cathrin Eich kam zustande und im Jahr darauf begann ich als Zeitzeuge, Schülern über mein Leben zu berichten und ihre vielen Fragen zu beantworten.
Ich schaffe es, meine Zuhörer in meine damalige Welt der SED-Diktatur mitzunehmen
Bernd Richter, Zeitzeuge
Die Auseinandersetzung mit meiner eigenen Geschichte, das Sprechen im Rahmen von Zeitzeugenveranstaltungen halfen mir zu lernen, mit meinen Traumata umzugehen. Damals war mir nicht bewusst gewesen, dass ich überhaupt traumatisiert bin.
Richter gründete Häftlingsvertretung
Heute kann ich fast immer über alle Themen meines Lebens reden. Ich schaffe es, meine Zuhörer in meine damalige Welt der SED-Diktatur mitzunehmen, ihnen Erlebtes zu erzählen und damit aufzuzeigen, was es bedeutete, in einer Diktatur, in einem menschenfeindlichen Überwachungsstaat zu leben.
Im Jahr 2007 wurde ich Mitglied des Fördervereins der Projektwerkstatt der Gedenkstätte und war bis 2017 viele Jahre im Vorstand tätig. Anschließend gründete ich die wichtige und längst überfällige Häftlingsvertretung der Gedenkstätte. Wir stellten uns die Aufgabe, darauf zu achten, dass dieser Ort des Gedenkens in unserem Sinne und im Gedenken aller 67 ehemaligen Häftlinge, die hier schrecklichstes Unrecht über sich ergehen lassen mussten, geführt und weiter entwickelt wird. Nach Gründung der Stiftung wurde ich in den Beirat berufen und bin dort noch aktiv tätig.
Heute 2025 muss ich erkennen, wie Extreme in unserer Demokratie immer stärker werden und immer mehr junge Menschen in ihren Dunstkreis ziehen. Das macht mich zutiefst traurig und wütend. Bei allen Sorgen unserer Zeit ist doch unsere so schwer erkämpfte Demokratie unsere Heimat, unsere DNA und vor allem unser freiheitliches Leben ein erstrebenswertes Ziel.
Unseren jungen Menschen, Kindern und Enkelkindern sind wir es schuldig, auch ihnen eine glückliche, gesunde und freiheitliche Welt zu hinterlassen. Diese zu schützen und niemals wieder aus der Hand zu geben, muss und sollte unsere wichtigste Aufgabe sein.
Der Text ist ein Auszug aus der Broschüre „30 Blickwinkel auf 30 Jahre Gedenkstätte Lindenstraße“, die anlässlich des Geburtstages der Gedenkstätte veröffentlicht wurde.
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