
© Hans-Otto-Theater
Premiere im HOT: „Ich wollte einen West-Turm schreiben“
Der Dramatiker John von Düffel spricht im PNN-Interview über Euphorie, traurige Menschen und den Untergang der alten BRD. Sein Stück "Alle sechzehn Jahre im Sommer" erzählt den gesellschaftlichen Wandel anhand von Fußball-Weltmeisterschaften. Am Freitagabend ist Premiere im Hans-Otto-Theater.
Stand:
Herr von Düffel, Ihr Theaterstück „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ beginnt im Jahr 1974, als die Welt in Sachen Fußball noch in Ordnung war, denn Deutschland wurde in diesem Sommer Fußballweltmeister. Klingt fast wie ein zu schönes Märchen aus längst vergangenen Tagen, das Sie da erzählen.
Wenn man das Abschneiden der deutschen Mannschaft bei den zurückliegenden Meisterschaften betrachtet, stimmt das schon. Aber die Weltmeisterschaft von 1974 war für mich in vielerlei Hinsicht interessant. Hier wurden mit Franz Beckenbauer und Gerd Müller nicht nur auf westdeutscher Seite, sondern mit Jürgen Sparwasser auch auf ostdeutscher Seite Legenden geboren. Aber vor allem politisch war diese Weltmeisterschaft hochbrisant. Nicht nur wegen des berühmten BRD-DDR-Duells in Hamburg, das mit der Niederlage der westdeutschen Mannschaft endete. Schon das erste Spiel der deutschen Mannschaft gegen Chile war hochpolitisch, weil man hier gegen die Mannschaft einer gerade an die Macht geputschten Dikaturregierung gespielt hat. Es gab in Berlin, wo dieses Spiel stattgefunden hat, zahlreiche Proteste. Das war nicht sommermärchenhaft, wie wir das von der Weltmeisterschaft 2006 in Erinnerung haben. Die Anschläge auf die Olympischen Spiele in München lagen erst zwei Jahre zurück. Im Grunde war das eine Polizeiweltmeisterschaft.
John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, ist Dramatiker und Schriftsteller. Derzeit ist er Dramaturg des Deutschen Theaters in Berlin. John von Düffel lebt in Potsdam.
Sie spannen über die Jahre 1974, 1990 und 2006 einen weiten Bogen und zeigen, während die Weltmeisterschaften immer ausgelassener werden, dass die Menschen, von denen Sie erzählen, immer stiller werden. Dient Ihnen der Fußball hier nur als Folie für gesellschaftliche und persönliche Veränderungen?
Es geht mir in „Alle sechzehn Jahre im Sommer“ auch um gesellschaftliche Veränderungen, die sich im Fußball auf eine sehr spielerische Art und Weise und manchmal auch sehr symbolisch zeigen, was dem Theater in gewisser Weise sehr entgegenkommt. Wir erleben diese Veränderungen an den Bewohnern einer Charlottenburger WG, die ihre Wege gehen. Und die Ironie dieser Veränderung liegt darin, dass die Fußballweltmeisterschaften von 1974 bis 2006 zwar immer fröhlicher und euphorischer werden, die Geschichten vom Erwachsen- und Älterwerden dieser Menschen dagegen immer trauriger. Am Anfang gibt es die unmögliche und chaotische WG-Zeit, in der aber auch eine große Nähe zwischen ihnen zu spüren ist, manchmal natürlich auch im sexuellen Sinne. Dann kommt 1990 die Verbürgerlichung und 2006 die Isolation. Vielleicht ist es auch gar keine Ironie, dass diese Weltmeisterschaft 2006 als ein großes Verbrüderungs- und Gemeinsamkeitsspektakel medial inszeniert über die Bühne ging, während die Menschen eigentlich immer isolierter sind. Denn die ganzen Hoffnungen und auch verrückten Versprechungen aus der Kommunenzeit sind nicht in Erfüllung gegangen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Premiere am heutigen Freitag um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse
Lesen Sie das ganze Interview in der FREITAGAUSGABE der POTSDAMER NEUESTEN NACHRICHTEN
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