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Lieder von Wagnis und Lebenshunger. Christiane Hagedorn und ihr Debüt „Appetite“.

© Volker Beushausen

Kultur: „Ich wollte mich nicht mehr entscheiden“

Die Schauspielerin Christiane Hagedorn stellt bei den Potsdamer Jazztagen ihr Album „Appetite“ vor

Stand:

Frau Hagedorn, Jazz, Soul oder Pop, in welchem Genre fühlen Sie sich am wohlsten?

Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen ein bisschen in between, also dazwischen. Die Musiker in der Band kommen vom Jazz, aber meine Lieder sind eher Popsongs, gewürzt mit Reggae, Balkan- und Afrobeats, mit Soul und Funk.

Wie entsteht dieser spezielle In-between-Sound Ihrer Band Rose Hip, den Sie am Sonntag bei den Potsdamer Jazztagen vorstellen?

Wir sind eine sehr lustvolle Band und arbeiten sehr impulsiv. Wenn ich dann das Gefühl habe, es muss jetzt ein Reggae oder ein osteuropäischer Touch sein, kann ich das auch nicht immer erklären oder begründen. Das ist dann einfach eine emotionale Entscheidung. Meist habe ich eine Idee für die Melodie und für die Akkorde, die ich am Klavier ausprobiere. Dazu meist auch noch eine zweite und dritte Gegenmelodie und den Groove. Der Text, auch wenn es am Anfang eine Vorstellung gibt, entsteht fast immer erst am Schluss. Ich muss Lust haben, das zu singen. Es muss sich gut anfühlen. Wenn das dann alles stimmt, schreibe ich das auf meine Art auf und schicke es an Alex Morsey.

Der den Bass bei Rose Hip spielt.

Nicht nur, denn der kann lesen und verstehen, was ich da aufgeschrieben habe und wandelt das dann in Noten um. Und die Akkorde, die ich ihm da schicke, das sind ja ganz einfach Lagerfeuerakkorde, die veredelt er dann. So gehen wir in die Probe. Und wenn dabei etwas entsteht, das nicht nur mich, sondern auch die Musiker überzeugt, hat es der Song sozusagen durch alle Instanzen geschafft.

Sie sind Schauspielerin, derzeit unter anderem in „Orpheus steigt herab“ auch am Hans Otto Theater zu erleben. Wie kamen Sie zur Musik?

Ich singe und spiele gern, so lange ich denken kann. Ich bin die Tochter einer Schauspielerin und eines Musikers. Insofern schlagen da zwei Herzen in meiner Brust. Irgendwann habe ich es aufgegeben, mich zu entscheiden. Denn ich will das nicht mehr. Ich habe mich einmal entschieden, Schauspiel und nicht Musik zu studieren. Da war ich 16. Es hat sich dann aber gezeigt, dass ich ohne die Musik auch gar nicht auskomme. Nun gehört das Singen zwar zum Schauspielberuf dazu, aber es macht einen große Unterschied, ob man in einer Rolle singt oder eigene Lieder.

Hat Sie das Singen als Schauspielerin auch dahin gebracht, eigene Lieder zu schreiben?

Ich habe mal in einem Billie-Holiday-Stück gespielt. Da war ich Billie Holiday und habe versucht, auch stimmlich ihren Phrasierungen nachzuspüren, ohne sie kopieren zu wollen, denn das kann man sowieso nicht. Ähnlich ist es mit Hildegard Knef, die ich in einem Stück gespielt habe und wo ich immer noch einen eigenen Hildegard-Knef-Abend im Programm habe. Das ist aber eine andere Art zu singen, zu interpretieren, weil man ja tatsächlich in die Rolle eines Fremden schlüpft. Gespürt habe ich schon immer, dass ich mich auch selbst gesanglich ausdrücken möchte, auf eine ganz eigene Art. Aber den Mut dazu hatte ich erst sehr spät.

Was war letztendlich der Auslöser?

Im Grunde wurde ich von anderen Musikern dazu aufgefordert. Das war am Theater in Schwerin, als ich dort fest angestellt war. Dort gab es eine Swing- und Bossa-Band. Und die Musiker fragten, ob ich nicht mitsingen will. So bin ich zu meinen ersten Standards gekommen. Da waren „Gee, Baby, Ain’t I Good to You?“ und „All of me“, „The Girl from Ipanema“ und „Dindi“ mit dabei. Und da habe ich gemerkt, dass ich sehr gut improvisieren kann und mir das großen Spaß macht. Das ist auch der Grund, warum ich zunächst zum Jazz gefunden habe.

Allein der Jazz hat Ihnen nicht gereicht?

Nein, ich habe durch ihn zwar meine Musiker gefunden, wofür ich sehr dankbar bin. Aber ich mag auch sehr Musik, die vom Balkan oder aus dem Orient kommt. Besser gesagt: Meine Stimme mag das. Da möchte ich nicht drauf verzichten. Ich liebe auch guten Pop und guten Rock. Und dann ist mir klar geworden, wenn ich meine eigenen Lieder schreibe, brauche ich darauf nicht zu verzichten und bin auch nicht auf bestimmte Fahrwasser festgelegt.

„Appetite“ ist der Titel Ihres Debütalbums. Zwölf Lieder, die Sie selbst geschrieben haben.

Ja, und das kam über mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, irgendwann im Urlaub in Italien. Eigene Musik hatte ich schon vorher im Kopf gehabt, aber da war eine Melodie, bei der ich das erste Mal hingehört habe. Das hat vielleicht auch mit Selbstvertrauen zu tun, das ich entwickeln musste, vielleicht auch mit Muße, die ich dort hatte. Die Zeit war einfach reif. Das war dann wie ein Schub. In den kommenden drei, vier Tagen kamen dann meine ersten fünf Songs zu mir, ein regelrechter Sog. Und da ich damals noch keine Technik hatte, um mir das zu notieren, habe ich die so lange in meinem Kopf hin- und hergewälzt, bis ich sie tatsächlich auswendig konnte. Mit der Zeit sind so Lieder entstanden, die von Wagnis und Lebenshunger, von Mut zu Genuss und Lebensfreude, auch von Verlust und Aufbruch erzählen. Aber auch von dem Mut, nicht immer nur kontrolliert zu leben. „Appetite“, das ist das pralle Leben mit einem Hauch Melancholie.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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