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Kultur: „Ick will ma vabessan“

Günter Lamprecht las im Hnas Otto Theater

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Kurz vor seinem 77. Geburtstag gab am Samstagabend Günter Lamprecht im Hans-Otto-Theater dem Potsdamer Publikum die Ehre. Ein roter Polsterstuhl stand vor einem kleinen Lesetischchen, auf dem ehrerbietig die Lampe ihren Schirm nach unten neigte. Dann kam der Schauspieler, verneigte sich und erzählte, dass man ihn nach einer Talk-Show gebeten habe, doch einmal sein Leben aufzuschreiben. „Drehbücher habe ich schon geschrieben, aber Bücher noch nie. Das ist schwer, und ich musste viel weinen“, sagte der Mann, dem man sein Alter nicht ansieht.

Nichts sagte er über den Amoklauf, dem er und seine Lebensgefährtin im November 1999 zum Opfer fielen, nichts sagte er über seine Rollen und seine Filme. Das alles war aber präsent bei jenen, die sehr aufmerksam zuhörten und ihren Günter Lamprecht spätestens als Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“ kennen lernten und ihn vielleicht auch noch aus dem preisgekrönten Fernsehspiel „Rückfälle“ in Erinnerung haben, in dem er einen Säufer spielt, der keinen Entzug schafft. Lamprecht las aus „Und wehmütig bin ich immer noch“, den Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend. Unbeschwert war sein Leben wohl nie. Da gab es den Vater, „Willi“, der Taxifahrer ist und eine Stammkneipe um die Ecke hat, die dann SA-Treffpunkt wird. Wenn der nachts nachhause kommt, fackelt er offenbar nicht lange und schlägt die Mutter. So erwachte Günter Lamprechts Beschützerinstinkt recht früh. Aber er konnte sich umgekehrt auch auf die Solidarität seiner Mutter verlassen: Als sie die Striemen auf seinem Hintern sah, die sein Lehrer mittels des „Trösters“ genannten Rohrstocks dem Jungen zugefügt hatte, kam sie kurzerhand in den Unterricht und klatschte dem Pädagogen ihre Handtasche links und rechts auf die Wange. Kurz darauf wurde in dieser Schule die Prügelstrafe verboten.

Schöne Zeiten gab es aber auch für den Berliner Jungen, das war in Masuren, wo die Familie seiner Mutter lebte. Gänse und Enten bevölkerten die Umgebung des nahe gelegenen Sees, der Sommer lag träge auf den Wiesen, und der kleine Günter, die Backen voller Streuselkuchen, beugte sich weit vom Steg herunter, um die Hechte zu beobachten und eventuell auch einen zu fangen, und schwups, lag er selbst im Wasser. Es dauerte eine Weile, bis der Großvater ihn herausfischte und erst um Mitternacht sprach der Kleine wieder.

Dann kam die böse Zeit, für einen 1930 Geborenen, der in Berlin lebte, war der Krieg allgegenwärtig, auch der „Führer“ der Hitlerjugend kam zu ihm nachhause und vermöbelte ihn ordentlich, damit er endlich mal mehr seinem Vater nacheifere. Viel Zeit verbrachten seine Mutter, Schwester und er in den Bunkern, um sich vor den Bomben in Sicherheit zu bringen. Dass er dabei auch viel Tote sah, hat der Schauspieler und gelernte Orthopädiemechaniker anschaulich beschrieben. Er empfand eine „riesige Dankbarkeit, überlebt zu haben“. Nach dem Krieg erfuhr er die Freiheit mit Jazz und Boogie Woogie und spürte, dass das endlich etwas Neues war. So lernte er in der „Badewanne“ auch den Schauspieler Gert-Günther Hoffmann kennen, der messerscharf erkannte: „Junge, du musst Schauspieler werden“, und empfahl ihn der Schauspiellehrerin Else Bongers. Dass er vorsprechen sollte, hatte Lamprecht nicht verstanden, denn er wusste damals gar nicht, was das bedeutete, aber er lernte dann doch noch seine Rolle, den Ruprecht aus Kleists Zerbrochenem Krug.

Er sprach beim Max-Reinhardt-Seminar vor und auf die Frage, warum er Schauspieler werden wollte, sagte er: „Ick will ma vabessan“. Und das hat er getan. Das Publikum dankte ihm mit langem Applaus und wartet schon auf den zweiten Teil seiner Erinnerungen, der im März publiziert werden soll.

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