Von Dirk Becker: Ideal und Wirklichkeit
Marianna Linden spielt Alkmene in Kleists „Amphitryon“ / Premiere am morgigen Samstag Kleist erschüttert das Selbstverständnis, die Selbstgewissheit des Ichs
Stand:
Wie öd ist, ohne dich, dies Haus!
(Alkmene, 1. Akt, 4. Szene)
Marianna Linden schweigt. Ihr Blick verliert sich auf dem vom grellen Märzsonnenlicht beschienenen Parkplatz neben dem Hans Otto Theater. Ein ruhiger Nachmittag, der wie erstarrt wirkt in dieser Helligkeit. Nur leise Gespräche, gelegentlich Geschirrklappern sind in der Theaterkantine zu hören. Und dann sagt Marianna Linden, während sie noch immer durch das Fensterglas nach draußen schaut, ihr Blick aber ganz woanders zu sein scheint: „Es bleibt brutal.“
Da ist keine Wut und auch keine Verwunderung in der Stimme der Schauspielerin mit dem ernsten, schmalen Gesicht. Eher eine leichte Fassungslosigkeit darüber, was Heinrich von Kleist da Alkmene und Amphitryon, Charis und Sosias hat erleben lassen. Eine leise und gleichzeitig auch stolze Fassungslosigkeit, die Marianna Linden vielleicht hinübertragen wird, wenn sie am morgigen Samstag im Schlosstheater im Neuen Palais bei der Premiere von „Amphitryon“ als Alkmene auf die Bühne treten wird.
Denn roh ist und empfindlich dieser Scherz.
(Alkmene, 2. Akt, 2. Szene)
In ein brutales Gefühlschaos hat Kleist den Feldherrn Amphitryon und dessen Ehefrau Alkmene, Amphitryons Diener Sosias und dessen Ehefrau Charis gestürzt, als er sie dem intriganten Spiel der Götter Jupiter und Merkur aussetzte. Zwei Götter, die sich in die Ehemänner verwandeln, aber nur Jupiter lustwandelt mit der so getäuschten Ehefrau Alkmene. Dabei stammt die Idee für dieses Lustspiel gar nicht von Kleist selbst, dessen Selbstmord auf einem Hügel am Kleinen Wannsee sich am 21. November zum 200. Mal jährt und Anlass ist für ein am heutigen Freitag beginnendes, bundesweites Kleist-Jahr 2011.
Der französische Dramatiker Jean-Baptiste Poquelin Molière hatte „Amphitryon“ zur Erheiterung von Ludwig XIV. geschrieben, und Kleist wollte dieses Stück ins Deutsche übertragen. Doch im Laufe der Übersetzung griff Kleist immer stärker in das Stück ein. Während Molière den Ehebruch in den Vordergrund rückt, so den Unterschied zwischen Liebhaber und Ehemann betont und das Publikum über den gehörnten Ehemann lachen lässt, reißt Kleist tiefe Wunden in das Seelenleben seiner sterblichen Figuren. Für ihn ist der antike Stoff um Amphitryon und seine Ehefrau nicht bloß Folie für eine leichtfertig frivole und für das Publikum so herrlich amüsante Verwechslungsfarce. Kleist erschüttert das Selbstverständnis, die Selbstgewissheit des Ichs, macht die Liebe zu einer Seinsbestätigung und lässt zwischen Ideal und Wirklichkeit entscheiden.
O mein Gemahl! Kannst du mir gütig sagen, Warst du’s, warst du es nicht? O sprich! du warst’s!
(Alkmene, 2. Akt, 5. Szene)
„Mit Jupiter erfährt Alkmene, was sie so nicht kannte“, sagt Marianna Linden. Ein Liebesglück, eine rauschhafte Nacht. „17 Stunden Spaß“, so die Schauspielerin. Ein nicht gekanntes Glück, eine Schönheit, die ihr so nie bewusst war. Und das obwohl Alkmene doch glaubte, es sei ihr Mann, mit dem sie diese Nacht verbrachte?
Marianna Linden lächelt. Sie möchte jetzt keine Antwort geben, die möglicherweise wie eine Erklärung, eine Gewissheit klingt in einem Stück, in dem alles erschüttert wird, und hier vor allem die Gewissheiten. Sie spricht lieber von der detektivischen Arbeit, die ihre Beschäftigung mit Alkmene sei. Und die Forderung von Regisseurin Julia Hölscher, „purer, purer, purer“ zu spielen, die sie am Anfang mehr verunsichert denn gefördert hat. Zu schnell habe die Kleistsche Sprache sie verführt, den Text allzu elegisch zu sprechen. Doch die Regisseurin hat Mut gefordert. Mut, Positionen zu behaupten und Alkmene nicht zum naiven und armen Opfer eines lustmolchenden Gottes und eines vor Eifersucht tobenden Ehemanns zu machen.
„Wir lassen da manches offen“, sagt Marianna Linden. Ein Schwebezustand, ein Albtraumzustand, ein Abgrund, der sich in „Amphitryon“ auftut, wo ein Gott sich erniedrigen muss, wenn er zum Mensch wird, um mit einer Menschlichen schlafen zu können. Und der dann um die Liebe buhlt, bettelt. Hören will, dass er besser ist als der wahre Amphitryon und Alkmene vor die Entscheidung stellt, Ideal oder Wirklichkeit zu bevorzugen. Aber vielleicht, so Marianna Linden, nimmt Alkmene das alles „wissend und unwissend zugleich“ wahr.
Verflucht die Sinne, die so gröblichem Betrug erliegen.
(Alkmene, 3. Akt, 11. Szene)
„Amphitryon“ ist Marianna Lindens zweite Inszenierung am Hans Otto Theater. Im „Turm“, unter der Regie von Intendant Tobias Wellemeyer, spielt sie die Mutter von Christian Hoffmann. Eine Nebenrolle in dieser grandiosen und so erschütternden Inszenierung, die vor allem durch Holger Bülow in der Rolle des Christian getragen wird. Mit der Alkmene tritt Marianna Linden nun in den Vordergrund.
Ihre Alkmene soll dabei selbstbewusst sein. Eine intelligente Frau, die sieht, was um sie her geschieht, und das auch reflektiert. Die in diesem Gedankenspiel, das Kleist dort mit seinen Figuren treibt, in dem sich alle Verlässlichkeiten auflösen und langsam der so sicher geglaubte Boden unter den Füßen verloren geht, sich nicht auch noch selbst verliert. Aber die auch gleichzeitig spürt, dass da etwas vorgeht, was in seiner Dimension, in seiner Absonderlichkeit nicht fassbar ist.
Marianna Linden schaut wieder aus dem Fenster. „Bitter, das alles bleibt bitter und brutal“, sagt sie.
Die Premiere am morgigen Samstag, 19.30 Uhr, im Schlosstheater im Neuen Palais, ist ausverkauft. Nächster Termin am Donnerstag, 10. März, 19.30 Uhr
Dirk Becker
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