Kultur: Ignoranz hier, Euphorie dort
Heidi Jäger
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Mehrmals schon sollte das Hans Otto Theater ein neues Haus erhalten. Aber immer wieder wurde ein Neubau verschoben, kurz nach der Wende der Rohbau des Theaters sogar abgerissen, weil dieser „am falschen Platz“ stand. Am 22. September 2006 ist es soweit: Am Havelufer in der Schiffbauergasse wird sich der Vorhang im neuen Haus öffnen. In unserer Serie wollen wir an die vergangenen Jahrzehnte des Theaters erinnern, an Künstler auf der Bühne, dahinter und davor, an Schauspiel- und Musiktheaterereignisse, an Episoden aus dem Theaterleben Potsdams.
HEUTE: Das Partnertheater Tartu
Es sollte eine nette Geste werden. Mühsam paukten sich die Schauspieler des Hans Otto Theaters im Jahre 1971 den Schlussvers von Shakespeares „Komödie der Irrungen“ auf Estnisch ein. Selbst wenn man tapfer lernt, kein leichtes Unterfangen bei dieser doch sehr schwierigen, kehligen Sprache. Dann kam die Stunde der Wahrheit: die Aufführung der Potsdamer Mimen im Partnertheater Vanemuine in Tartu. Es gab, wie bei allen Gastspielen, herzlichsten Applaus. Auch bei der Premierenfeier waren alle des Lobes voll. Nur ein estnischer Kollege wandte ein: „Das Einzige, was ich nicht verstanden habe: ,Warum habt Ihr den Schluss denn auf Latein gesprochen?““
Ansonsten war die Sprache kaum ein Problem, um sich künstlerisch zu begegnen. Wenn Tartu nach Potsdam reiste, hatten die Gäste zumeist Ballett oder Liederabende im Gepäck – was allerdings nur ein gedämpftes Interesse bei den Potsdamern hervorrief. Getreu des Mottos: „Ein kleines, unbekanntes Land – was soll das schon zu bieten haben?" verschmähte das Gros der Havelstädter die fremde Kost. Das brachte die damalige Chefdramaturgin Irmgard Mickisch immer wieder auf die Palme. Sie erlebte im Gegenzug, wie die Potsdamer geradezu euphorisch gefeiert wurden, wenn sie die Bühne in Tartu betraten. „Die Esten haben eine große Affinität zur deutschen Kultur und viele sprechen auch heute noch deutsch.“ Die alten Leute aufgrund der deutschen Besetzung 1941 bis 1944, junge Leute, weil sie an der deutschen Fakultät der altehrwürdigen Universität studieren.
Die Idee der Partnerschaft ging auf den Intendanten von Tartu, Kaarel Ird, zurück – „ein sehr umtriebiger, temperamentvoller und auch ,hochdekorierter“ Mann“, weiß Irmgard Mickisch zu berichten. Der Volkskünstler der ESSR hoffte vor allem auf Reisemöglichkeiten für seine Schauspieler, Tänzer und Sänger. Er fragte beim Ministerium für Kultur der DDR an, ob es ein Partnertheater für ihn gäbe. Das HOT schien ideal, da es in einer vergleichbar großen Stadt lag und ebenfalls ein Mehrspartentheater besaß. Zudem war dessen damaliger Intendant Günter Klingner ebenfalls sehr reiselustig. Doch mit dem Reisen zwischen den Bruderländern war das so eine Sache. Monatelang dauerte es, bevor man die nötigen Papiere zusammen hatte. Manche Reisepläne zerstieben gar an den Hürden der Bürokratie. 1967 gab es schließlich die ersten Kontakte auf Leitungsebene. „Ich war begeistert von diesen unkomplizierten, aufgeschlossenen Menschen. Und ich machte wieder einmal die Erfahrung, dass die Armen lieber geben als die Reichen. Die Lebensbedingungen in Estland waren erheblich schlechter als bei uns, aber die Menschen waren fröhlich.“
Meist gastierte man mit drei Aufführungen in der Partnerstadt. „Aber wir hätten dort auch monatelang spielen können. Das Publikum raste meist vor Begeisterung.“
Ob „Cosi fan tutte“ und „Titus“ von Mozart, Goethes „Die Mitschuldigen“, Beethovens „Fidelio“, Händels „Julius Caesar“, „Der Kuß der Spinnenfrau“ von Puig oder auch das Jugendstück „Was heißt hier Liebe“ von der Roten Grütze – die Aufführungen fanden Gefallen.
Nach der Wende gab es noch ein Gastspiel mit „Don Juan“ von Moliere und „Der Parasit“ von Schiller. Dann verlief die Zusammenarbeit im Sande. Sie ist still gestorben. Es fehlte wohl der Motor.
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