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Kultur: Illustrierte Seelenwanderungen

HOT-Intendant inszeniert szenische Version von Schuberts „Winterreise“ am Schlosstheater

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HOT-Intendant inszeniert szenische Version von Schuberts „Winterreise“ am Schlosstheater Von Peter Buske Gelegentlich grollt Geschützdonner in der Ferne, hört man den Marschtritt vorüberziehender Soldaten. Der Krieg liegt in seinen letzten Zügen. Das Innere des Schlosstheaters im Neuen Palais (oder des Potsdamer Stadtschlosses?) ist zerstört. So zeigt''s sich jedenfalls auf der Bühne. Geborstene Mauern, zersplitterte Wände, Dreck und Schutt, ein Metallbett. Ein wüster Ort. Den betritt ein Wehrmachtssoldat, behängt mit Maschinenpistole, auf der Suche nach einer Bleibe. „Fremd bin ich eingezogen“ singt er zur Begleitung des Klaviers. Wie wahr. Dabei handelt es sich um den „Gute Nacht“-Gesang, mit dem Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ anhebt. Hier wie dort ist''s ein Wanderer, der seine Lebensstraße geht: voller Hoffnungen, Enttäuschungen, Entsagungen, voller Verzweiflung und Todesgedanken. Was der Komponist anno 1828 auf Texte des Dichters Wilhelm Müller komponierte, ist Ausdruck von Resignation einer ganzen Generation, die an der Metternichschen Restauration litt und zerbrach. Entstanden ist ein abgrundtiefer Zyklus von 24 „schauerlichen Gesängen“, die Existenzielles zur Sprache bringen. Sie gleichen Momentaufnahmen der Seele, spotlichtartig beleuchtet. Eine Handlung wohnt ihnen nicht inne. Uwe Eric Laufenberg, regieführender Intendant des Hans Otto Theaters, wagt es, den Zyklus als Theaterspektakel auf die Bühne zu bringen. Seine Absicht ist es zu zeigen, wie ein Mensch in seine zerstörte Heimat zurückkommt. Dieser sehnt sich nach Vertrauten, träumt am Brunnen vor dem Tore vom „Lindenbaum“, erinnert sich an zwei glühende Mädchenaugen, rückblickt „Auf dem Flusse“ an die Geliebte. Allmählich zerbricht die idyllische Vergangenheit, obsiegt die brutale Realität. Steht alles bei Schubert. Doch es blüht auch Leben in den Ruinen, meint Laufenberg. Gegen Ende des Wanderweges bevölkern eine kartoffelschälende Alte, eine verhärmte Mittlere und ein spielendes Kind die Szene (Ausstattung: Claudia Jenatsch). Je nun – was bringt solche szenische Version an neuen Erkenntnissen? Fast nichts, was man nicht schon der Liedersammlung entnommen hätte. Schade, dass Laufenberg mit seiner Idee über eine Illustrierung vermeintlichen Handlungsgeschehens nicht hinauskommt. Wird von „Täuschung“ gesungen, bewegt der Wanderer eine Spiegelglasscherbe hin und her; wenn er von bunten Blumen träumt, werden Filmbilder herziger Buben und Maiden auf eine nicht von allen Besuchern einsehbare Gardine projiziert. Purer Naturalismus, der letztlich ziemlich plakativ anmutet und weitgehend vom Gesungenen ablenkt. Was nicht weiter ins Gewicht fällt, denn Jan Buchwald hat leider keinen guten Premierenabend erwischt. Sein hoher Bariton klingt zwar textverständlich und ohne Larmoyanz, aber angestrengt. Die kernige Stimme sitzt nicht, und so wird das genaue Tönetreffen oftmals zur Glückssache. Doch perfekte Intonation ist nun mal das A und O des Liedgesanges. Trotz aller theatralischen Ambitionen bleibt es letztlich bei einer Abfolge von Liedern, zum Teil an der Rampe gesungen. Warum dann nicht gleich einen traditionellen Liederabend geben?! Dem Sänger gelingt es nicht, in tiefere Seelengründe vorzudringen, denn seine Gestaltung erweist sich als ziemlich gleichförmig. Er liebt das uniforme Forte. Das Piano dagegen zerbröselt ihm. Wie beides sich auf einem Fortepiano in Gestalt eines Blüthner-Flügels (im Halbrund zwischen Parkett und Orchestergraben stehend) in vortrefflichste Einheit bringen lässt, führt Cornelius Meister meisterlich vor. Er spielt sensibel und dramatisch, erzählt Geschichten auf engstem Raum, versenkt sich in fast tonlose Trostlosigkeit, kriecht förmlich in die Tastatur hinein, braust die Emotionsskala bis hin zum Wahnsinnsausbruch. Fantastisch. Dem Sänger hätte man solches Differenzierungsvermögen von Herzen gegönnt. Wodurch wird der Wanderer langsam irre, was treibt ihn in den Wahnsinn? All dieses erfährt man einzig durch den Pianisten, der allerdings nach geraumer Weile urplötzlich auf der Bühne erscheint, dort ein Kneipenklavier („Die Post“), dann einen zuvor enthüllten Steinway-Flügel tastatiert. Weshalb? Zum „Leiermann“-Schluss liegt der Wanderer auf dem Feldbett, schläft ein. Allmählich verlöscht das Licht, der Vorhang geht zu. Dann brandet der Beifall auf.

Peter Buske

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