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Kultur: Im Bann des alten Meisters
Jazzlegende Ibrahim Abdullah im Nikolaisaal
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Rötliche Lichtpunkte tauchen die Bühne des Nikolaisaals in warmes Zwielicht, jeder Platz ist voll belegt mit Stühlen und Instrumenten, doch kein Mensch zu sehen. Gespannt wartet das Publikum auf Ibrahim Abdullah, eine der letzten lebenden Legenden des Jazz. Bis weit zurück ins 20. Jahrhundert reichen die musikalischen Wurzeln des südafrikanischen Pianisten. Gefördert wurde er noch vom seligen Duke Ellington, gespielt hat er mit Jazzgrößen wie John Coltrane, Ornette Coleman und Don Cherry. Endlos lang ist die Liste der Kompositionen, mit denen er seiner Heimat eine klangvolle Stimme gegeben hat. Dass er in wenigen Wochen 77 Jahre vollenden wird, ist Abdullah Ibrahim nicht anzusehen, als er pünktlich und beiläufig die Bühne betritt. Beifall braust auf, eine kurze Verneigung mit aneinandergelegten Handflächen, dann tut der hochgewachsene, ganz in schwarz gekleidete Musiker das, was er sein ganzes Leben seit dem siebten Lebensjahr gemacht hat: Er setzt sich ans Klavier und beginnt zu spielen.
Der Pianist und seine beiden Mitstreiter Belden Bullock am Kontrabass und George Gray am Schlagzeug haben völlig freie Hand und schwelgen lustvoll in Improvisationen, jener musikalischen Kunst, die im 20. Jahrhundert einzig beim Jazz neu erblüht ist. Die ersten Minuten nutzt Ibrahim, um die Zuhörer mit sanften Melodien in den Bann zu ziehen. Eine meditative Stimmung legt sich über den Saal, die dort so noch kaum zu erleben war. Genauso verhalten und introvertiert klingt das Spiel im Trio. Leise wird der Bass gezupft, dezent huschen die Besen über die Becken des Schlagzeugs, als Ibrahim mit einem klingenden Triller die Tasten bewegt und seine ätherischen, traumhaften Töne einfließen lässt. Kleine Reminiszenzen an erfolgreiche Kompositionen wie „Blue Bolero“ und „Duke 88“ leuchten auf, bevor eine choralartige, fast hymnische Passage das Finale ankündigt. Applaus brandet auf, das ergriffene Publikum verlangt nach mehr und bekommt noch vor der Pause eine kleine Zugabe. „Man muss schon sehr gut sein, um mit so wenig so gute Musik zu machen“, bemerkte ein begeisterter Zuhörer zu Recht in Pause.
Von einer anderen Errungenschaft des 20. Jahrhunderts zeugt Abdullah Ibrahims African Concerto „A Journey“. Für die Fusion aus Jazz und Symphonik erscheint das Filmorchester Babelsberg mit seinem Dirigenten Scott Lawton in großer Besetzung auf der Bühne, ein weiterer Mann am Flügel, Harfe, zwei zusätzliche Schlagzeuger gehören auch dazu. Das im Jahr 2008 in Essen uraufgeführte Werk führt in fünf Stationen durch den musikalischen Kosmos von Ibrahim Abdullah. Es beginnt mit archaischen, ungebändigten Tönen, Bildern mythischer Urwelten voll seltsamer Geräusche und Klänge nach Wasser, Urwald oder Gewitter. Diesem Chaos stellt sich der Klaviersolopart mit unerschütterlicher Gelassenheit entgegen, Jazztrio und Orchester übernehmen die meditativen Motive. Unter Scott Lawtons inspirierter Führung kann das Filmorchester wieder einmal seine enorme Vielseitigkeit zeigen. Abrupt unterbrechen gewaltige Tonballungen die besonnen-besinnlichen Klangbilder. Den Ausweg aus den mächtig aggressiven Gebilden weist der coole, swingende Jazz-Rhythmus. Er bildet den roten Faden des Konzerts und wohl auch die Leitschnur von Abdullah Ibrahims musikalischer Existenz, wenn nicht von seinem Leben überhaupt.
Nach fünfzig Minuten rauscht wiederum Beifall auf, der von den Musikern mit Dankesbekundungen an das Publikum und, nicht zuletzt, füreinander erwidert wird. Ausgelassene Heiterkeit verbreitet sich, lustig sind die Gesten anzuschauen, als es vom buddhistischen Gruß übergeht zum gemächlichen Fäusteanschlagen, dem traditionellen Gruß japanischer Männer. Nach diesem Konzert könnte die Stimmung nicht besser sein.
Babette Kaiserkern
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