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Kultur: Im Bann des Tangos

Der argentinische Tanz hat viele in den Nikolaisaal gelockt

Stand:

Der argentinische Tanz hat viele in den Nikolaisaal gelockt Damen und Herren mit Turnbeuteln betreten das in rotes Licht getauchte Foyer des Nikolaisaales. Man sitzt an kleinen Tischen und trinkt mit Vorliebe Rotwein. Ohne Umschweife beginnt das Trio zu spielen – von ihrer schwarzen Kleidung sticht nur das rote Samttuch auf dem Knie des Bandoneonspielers ab wie ein Blutfleck. Der Sänger, großgewachsen, in Frack und langer, dunkler Pferdeschwanz-Frisur, erscheint und intoniert mit baritonalem Schmelz die ersten spanischen Wörter. Wenn sich „bandoneón“ auf „corazón“ (Herz) reimt , „dolor“ (Schmerz) auf „amor“ dann geht es nur um eine Sache – der Tango hat die Menschen in den Nikolaisaal gelockt. Einmal im Jahr treffen hier die „aficionados“ zusammen, überwiegend Paare, aller Alterstufen, die Kleidung zumeist dezent bis elegant. Bei den Herren kommt gut ein weißes Hemd mit dunkler Weste oder auch mit Hosenträgern, lässig-schick wirkt ein schwarzes Hemd mit roten Tangotupfen, cool ein schwarzes T-Shirt zu schwarzen Jeans. Die Damen zeigen gerne lange, schmale Beine in kurzen Röcken, Auschnitte von nackten Rücken, Hosen; kleine Schwarze gehen auch. Kein Protz und Prunk ist zu sehen, alles erscheint sympathisch und demokratisch gemischt. Es geht um die Sache – der argentinische Tango erlebt besonders auch in den neuen Bundesländern seit einigen Jahren großen Zulauf. Die Musik erklingt, ruckend, stoßweise, Klavier und Bass setzen rhythmische Akzente, das Herz des Geschehens schlägt im Bandoneon. Es ist ein höchst eigenwilliges kleines Balg-Instrument, das je nach Seite, Zug- oder und Druckbewegung andere Töne von sich gibt, wie Spieler Christian Gerber erklärt. Frank Schulte erweist sich als virtuoser Klavierspieler und Fabian Kalbitzer gibt am Bass synkopische Widerhaken und kräftige Beats. Sänger Fernando Miceli bringt als echter „porteno“, wie die Bewohner aus Buenos Aires sich nennen, authentisches Flair mit. Mit Inbrunst und original argentinischem Akzent interpretiert er berühmte Tango-Lieder von Komponisten wie Hanibal Troilo, Alfredo Le Pera und Astor Piazzolla. Noch sitzen die Zuhörer und lauschen gespannt, doch schon zuckt hier und da ein Fuß, ein Finger, eine Schulter. Dann stehen einige auf, hängen mit entschlossener Miene das Sakko auf die Stuhllehne und führen ihre Partnerin zur Tanzfläche. Bald wogen, wiegen, kreiseln zahlreiche Paare allen Alters auf der eigens ausgelegten, hölzernen Tanzfläche hin und her – im Banne des Tangos. Nach für den Zuschauer verborgenen Regeln führen sie schleifende, gleitende Knick- und Spreiz-, Senk- und Dreh-Bewegungen aus – jedes Paar in anderen Variationen. „Tanzt man diesen Tanz im Stehen“ hatte eine Komtesse pikiert gefragt, als der Tango zu Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals in Europa gezeigt wurde. Verrucht geht es im Nikolaisaal nicht zu, eher verhalten, mit ernster Lust und sachlicher Leidenschaft. Und wenn die Tanzschuhe am Schluss wieder in den Beuteln verschwinden, bleiben sie dort sicher nicht für lange Zeit. B. Kaiserkern

B. Kaiserkern

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