zum Hauptinhalt

Kultur: „Im Barock wirkte es geradezu punkig“ Chor und Orchester der Uni Potsdam führen zu ihrem 10-jährigen Jubiläum die Johannespassion auf

Seit der Gründung vor zehn Jahren leitet Kristian Commichau den Potsdamer Universitätschor „Campus Cantabile“ und das Orchester der Universität „Sinfonietta Potsdam“ – mit ungebrochener Leidenschaft, wie er sagt. Für die Jubiläumskonzerte heute und morgen Abend um 20 Uhr im Nikolaisaal haben sich der 47-jährige Musikprofessor und seine Studenten an die Johannespassion von Johann Sebastian Bach gewagt.

Stand:

Seit der Gründung vor zehn Jahren leitet Kristian Commichau den Potsdamer Universitätschor „Campus Cantabile“ und das Orchester der Universität „Sinfonietta Potsdam“ – mit ungebrochener Leidenschaft, wie er sagt. Für die Jubiläumskonzerte heute und morgen Abend um 20 Uhr im Nikolaisaal haben sich der 47-jährige Musikprofessor und seine Studenten an die Johannespassion von Johann Sebastian Bach gewagt.

Die Partitur des Werkes umfasst 164 Seiten und zeichnet sich durch mehrfache Tonartwechsel sowie eine äußerst reiche Instrumentierung aus. Warum haben Sie sich dafür entschieden, ein so anspruchsvolles Opus mit einem Laienchor und -orchester aufzuführen?

Wir hatten uns die Passion im vergangenen Jahr schon zu einem Viertel erarbeitet und zwar für die szenische Aufführung „Bach trifft Händel“. Die Studenten waren damals von der Musik so begeistert, dass ich beschlossen habe, das gesamte Werk mit ihnen einzustudieren. Natürlich hatte ich anfangs ein bisschen Sorge, dass wir uns übernehmen, aber aus Erfahrung weiß ich, dass die Studenten gefordert werden wollen. Wenn ich zu leichte Stücke auswählen würde, könnte ich sie wahrscheinlich nicht lange begeistern. Außerdem beobachte ich immer wieder, dass Laien geringeres musikalisches Können mit besonderer Hingabe und Enthusiasmus kompensieren. Oftmals ist gerade das der berühmte Funke, der auf das Publikum überspringt.

Werden die Studenten auch die Soloparts in der Passion singen und spielen?

Nein, das wäre nicht zu schaffen gewesen. Wir proben jetzt seit etwa 20 Wochen an dem Werk. Ein professionelles Ensemble hätte für die gleiche Arbeit zwei Tage gebraucht. Zwar wäre es vom sängerischen und spielerischen Anspruch möglich, alles komplett mit Laien aufzuführen, weil gerade Bach beim Komponieren immer ein besonderes Gefühl dafür hatte, was mit Laienmusikern machbar ist. Aber das hätte in unserem Fall zu viel Zeit in Anspruch genommen. Darum habe ich für diese Passagen professionelle Musiker um Unterstützung gebeten. Bei dieser Aufführung werden uns Violinisten, Cellisten und Bratscher von der Kammerakademie Potsdam zur Seite stehen sowie erfahrene Sänger-Solisten.

Worin besteht für Sie der besondere Reiz des Werkes, gerade auch im Vergleich zur Matthäus-Passion?

Die Johannespassion ist geraffter, unmittelbarer und dramatisch zugespitzter. Das kommt schon allein in der Länge der Stücke zum Tragen: Die Aufführung der Matthäuspassion erstreckt sich über dreieinhalb Stunden, die Johannespassion dauert hingegen nur reichliche zwei Stunden. Wenn man bedenkt, dass das Stück 1723 bei einem Gottesdienst in der Leipziger Nikolaikirche uraufgeführt wurde, muss es auf die Menschen geradezu punkig gewirkt haben. Bei der barocken Klangvielfalt wird sich so mancher gefühlt haben, als ob ein Pferdegespann vorbei galoppiert.

Warum haben der Chor und das Orchester in der Vergangenheit nur selten miteinander gearbeitet? Würde sich das nicht anbieten?

Wenn Chor und Orchester zusammen musizieren, ist das Orchester oft auf die begleitende Rolle reduziert. Das ist für die Musiker wenig befriedigend. Darum achte ich darauf, dass sie überwiegend eigenständige Werke spielen.

In den vergangenen zehn Jahren haben sie viele Studenten kommen und gehen sehen. Wie haben sich Chor und Orchester in dieser Zeit entwickelt?

Jedes Jahr kommen etwa 20 neue Mitglieder dazu und 20 alte gehen. Diese Fluktuation ist auch wichtig, damit die Ensembles jung und dynamisch bleiben. Ein harter Kern bleibt dabei aber erhalten, so dass ich nicht jedes Jahr bei Null beginnen muss, sondern kontinuierlich auf unsere Arbeit aufbauen kann.

Warum sind Chor und Orchester wichtig für das Potsdamer Universitätsleben?

Über die Musik kommen Studenten verschiedener Fachrichtungen miteinander in Kontakt. Besonders von jungen Männern habe ich schon mehrfach gehört, dass sie hier sind, um Studentinnen kennen zu lernen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass Chor und Orchester als Wertebewahrer an Bedeutung gewinnen. Zum einen pflegen wir natürlich Kultur, zum anderen aber auch zwischenmenschliche Werte. Das ist ein wesentlicher Grund, warum mir die Arbeit ans Herz gewachsen ist. Wenn ich hier eines Tages aufhören sollte, ist im Stellenplan keine Ersatzprofessur mehr vorgesehen. Darum bleibe ich solange ich kann. Das 30-jährige Jubiläum will ich auf jeden Fall noch erleben.

Das Interview führte Juliane Schoenherr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })