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Kultur: Im Brennnesselkleid

Auf dem Weg in eine gemeinsame Zukunft: Silly und Anna Loos im Nikolaisaal

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Es braucht noch Zeit, bis ihr das Kleid passen wird, doch Anna Loos hat gezeigt, dass sie es tragen kann.

Bei „Alles wird besser“, dem letzten Lied vor dem Zugabenteil, steht fast jeder im ausverkauften Nikolaisaal. Gerade hat Anna Loos den obligatorischen Reigen mit der Vorstellung der Band zu Ende gebracht. Ritchie Barton am Klavier, Uwe Hassbecker an der Gitarre, dessen Sohn Daniel am Cello und dem Keyboard, Jäcki Reznicek am Bass, dessen Sohn Basti am Schlagzeug und Reinhard Petereit an der zweiten Gitarre. Die Musik spielt weiter, so als wäre alles gesagt. Da beugt sich Ritchie Barton ans Mikrofon. „Da fehlt ja noch eine“, sagt er. „Die den ganzen Abend für Euch gesungen hat: Anna Loos.“ Und der Applaus tobt. Lange. Manchmal sogar kräftiger als bei den alten Silly-Barden Hassbecker, Barton und Reznicek. Anna Loos steht in diesem Moment ganz still auf der Bühne. Es scheint, als wäre es das erste Mal an diesem Mittwochabend im Nikolaisaal, dass Anna Loos völlig entspannt wirkt.

Anna Loos steht im Schatten, seit sie und die drei Musiker von Silly – Hassbecker, Barton und Reznicek – beschlossen haben, zusammen auf die Bühne zu gehen. Sie steht im Schatten der Überfrau Tamara Danz, die bis zu ihrem Krebstod im Juli 1996 die Stimme und das Gesicht der Band war. Im Herbst 2005 kamen Silly zum ersten Mal nach dem Tod ihrer Frontfrau wieder auf die Bühne zurück, damals noch mit verschiedenen Sängern. Bei der aktuellen Elektroakustik Tour singt Anna Loos allein. Die Zukunft ist gemeinsam geplant, Anfang 2008 soll ein neues Silly-Album erscheinen, 12 Jahre nach dem letzten mit dem Titel „Paradies“. Anna Loos soll nicht nur singen, die Musiker hoffen, dass sie auch Texte zu den Liedern schreibt.

Am Anfang, beim Blick auf die noch leere Bühne, sind die Zweifel nicht gerade klein. Auch nach den ersten Liedern bleibt ein Unbehagen. Zu prägend war die Stimme der Danz, als dass man, auch nach all den Jahren, einfach zur Tagesordnung übergehen könnte und sagt: Da singt zwar eine Neue, aber egal, Hauptsache die Lieder von Silly sind zu hören. Dieses Unbehagen bleibt bis zum Schluss, doch Anna Loos und den Musikern gelingt es, dass es immer kleiner wird.

Wenn Anna Loos „Paradiesvögel“, „Mont Klamott“ oder „Bataillon D“Amour“ singt, klingt immer Tamara Danz mit. Doch ist das kein Nachsingen, da schwingt etwas mit, das an die erinnert, ohne die diese Musik auch elf Jahre nach ihrem Tod nicht sein kann. Wenn man so will, hat Tamara Danz mit ihrer Stimme, ihren Texten ein Brennnesselkleid hinterlassen. Anna Loos hat es sich übergezogen, obwohl sie weiß, dass es sie schinden wird. Und während sie sich schinden lässt, sich selbst nicht schont, hört man immer wieder neue, ganz eigene Töne in der bekannten Musik.

Das liegt zum Teil auch an den für diese Tour umgeschriebenen Arrangements. Silly haben sich auf das Wesentliche konzentriert, keine endlosen Solospielereien oder instrumentaler Bombast. Der Familienbetrieb Silly funktioniert so gut, dass es solcher Kraftmeierei nicht bedarf. Dann doch lieber ein Lied wie „SOS“ zum Blues runtergeschraubt und bevor das aggressive Biest ganz von der Kette gelassen wird, noch ein wenig mit Reggae gekitzelt. Es ist ein gutes Gefühl, Hassbecker, Barton und Reznicek wieder zusammen auf der Bühne zu sehen. Manchmal glaubt man, nur für einen Moment, Schwermut in ihren Gesichtern zu erkennen. Doch es überwiegen die Momente, wo sie einfach nur lächeln, wenn Anna Loos singt.

Das Kleid, das ihre Tamara Danz hinterlassen hat, wird ihr nie ganz passen. Aber an diesem Abend im Nikolaisaal war da sehr oft das Gefühl, dass Anna Loos sich mit der Zeit darin immer besser machen wird.

Dirk Becker

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