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Kultur: Im Dazwischen

Eine lichte Reise durch Abschied und Trauer

Stand:

Kein Dunkel, aber auch kein Licht. Ein Dazwischen, aus dem Musik von vier Gamben herüberweht. Und tief aus dem Kirchenschiff mit strahlendem Sopran die erste Zeile „Show pity, Lord, O Lord, forgive“ aus Thomas Campains „Babylon Stream“. Willkommen im Zwielicht.

Auf den ersten Blick ein gewagtes Programm, das im Rahmen der Vocalise in Zusammenarbeit mit dem T-Werk und dem Jaye-Consort-Berlin am späten Sonntagnachmittag in der Erlöserkirche zu erleben war. „Zwielicht. Lieder und Texte zum Totensonntag“ stand auf dem kleinen Programmheft. Lieder von Dowland, Gibbons, Purcell und Byrd gesungen von Juliane Maria Sprengel. Dazwischen Texte von Rilke, Bachmann, Eichendorff und Edgar Allan Poe, gelesen von Timo Sturm. Die Musik streng dem Alten verpflichtet, die Texte über zwei Jahrhunderte bis ins Heute durchschreitend. Altes und Neues gegenübergestellt, vereint jedoch im zeitlosen Thema von Abschied und Trauer.

Das Licht bleibt für eine Stunde nur Randerscheinung. Mal durch zwei Scheinwerfer sich gegen das Dunkel stemmend, dann im Wirrwarr einer auf dem Boden liegenden Lichterkette im Rücken der Musiker dem Raum etwas Wärme gebend. Hier herrscht das Zwielichtige, eine atemlose Gespanntheit, in der Musik und Texte wirken wie ein entspannendes Gegengewicht. Das Jaye-Consort mit den Potsdamer Musikern Juliane Laake und Tilman Muthesius nimmt diese räumliche Stimmung musikalisch auf und webt ein feines Klangbild. Hier zählen die Nuancen, nicht der Affekt. Und oft scheint es, als würden die Musiker mit ihren Bögen die Saiten nur so sanft streichen, dass Töne entstehen, die so luftig, leicht und zart aufsteigen, dass sie bei grellerem Licht sofort verstummen würden. Juliane Maria Sprengel lässt sich von diesem fast durchscheinend Gespielten tragen und bringt das Dunkel über die knapp 60 Zuhörer, wenn sie zu John Bennets Klage „Weep, O mine eyes“ anhebt. Dann lässt sie den Kirchenraum erstrahlen mit John Dowlands „If my complaints could passion move“. Am Ende jedes Liedes eine kurzer Moment der Stille, ein leise Nachschwingen im Zwielicht.

Timo Sturm dazwischen als wandernder Erzähler, dem Rainer Maria Rilkes „Erste Duineser Elegie“ zu einer Klage gegen die Dunkelheit im Raum wird. Mit Ingeborg Bachmanns „Die gestundete Zeit“, „Aria I“ und „Befreiung“ bittersüßes Gift verspritzend, legt er in Joseph von Eichendorffs „Zwielicht“ neben dem drohenden Verrat einen leichten Horror in seine Worte. Und dann Edgar Allan Poes Parabel „Schatten“, durch die Sturm die dunkle Seite in diesem Zwielicht wachsen, das Grauen sich überlebensgroß manifestieren lässt und so die atemlose Gespanntheit zum Zerreißen bringen will. Henry Purcells „The Plaint“ durch Juliane Maria Sprengels lichten Sopran dann wie eine Erlösung. Das Jaye-Consort flicht feine musikalische Blüten in den Raum und gibt dem Zwielicht die helle Seite zurück. Dann Orlando Gibbons „In nomine“, die vier Gamben in strenger Ordnung. Die Stille danach ist mehr als raumgreifend. Das feine Nachschwingen hätte man viel länger auf sich wirken lassen können. Dirk Becker

Dirk Becker

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