Kultur: Im Dialog
Arno Camenisch liest im Viktoriagarten
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Sprache kann vieles. Sie kann verbinden, auseinandertreiben, berühren, verletzen, Nähe und Distanz schaffen. Wenn man wie der Schweizer Arno Camenisch mehrsprachig aufgewachsen ist und diese Mehrsprachigkeit auch noch literarisch verarbeitet, kann Sprache vor allem eines: Lebendige, einzigartige Bilder malen, die – so fremdartig und seltsam sie auch manchmal aussehen können – doch immer etwas Vertrautes in sich bergen. Camenisch, 1978 geboren, stammt aus Graubünden mitten in den Alpen. Er ist mit Deutsch und Rätoromanisch aufgewachsen, doch durch einen italienischen Nachbarn und eine französische Kollegin der Mutter wurde er auch von diesen Sprachen geprägt. Insgesamt spricht er sieben Sprachen – Schweizerdeutsch mitgerechnet.
Der Autor, der 2013 mit dem Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises ausgezeichnet wurde, schreibt auch auf Rätoromanisch, seine bevorzugte Schriftsprache ist aber Deutsch. Ein klares, präzises und leicht zugängliches Deutsch. Oft durchzogen mit dialektalen Ausdrücken, die sich gerade dem deutschen Leser nicht sofort erschließen. Dennoch tragen sie dazu bei, die individuellen Bilder des Schriftstellers bunter zu zeichnen. Mit seiner Trilogie „Ustrinkata“ nach „Sez Ner“ und „Hinter dem Bahnhof“ setzte er seiner Bündner Heimat ein kleines sprachlich-literarisches Denkmal.
In seinem aktuellen literarischen Werk „Fred und Franz“, das er am heutigen Dienstag in Potsdam vorstellt, bedient er sich einmal mehr einem besonderen Konzept der Sprache. Diesmal ist es der Dialog. Ein Dialog zwischen Fred und Franz, der sich durch das gesamte Buch zieht und nur ab und an von kurzen, an Regieanweisungen erinnernde Sätze unterbrochen wird. Ansonsten wird gesprochen. Ununterbrochen. Fred und Franz lamentieren in mehreren kurzen Episoden über das Leben und seine Nichtigkeiten. Das große Thema sind natürlich die Frauen, die Liebe oder das, was sie dafür halten. Fred trauert seiner Maria nach und Franz kann sich, trotz vieler Abenteuer, nicht von der verheirateten Magdalena lösen. Also reden die beiden. Sie reden und halten dabei immer zueinander. Egal, ob sie in einer Liftgondel festsitzen oder einen Autounfall erleben. Ihre Freundschaft gibt ihnen Sicherheit. Dabei ziehen sich die Worte „fragt der Franz“ und „sagt der Fred“ – oder wahlweise auch andersherum – wie ein Mantra durch die Seiten. Drängen sich erbarmungslos auf, zehren an den Nerven des Lesers und geben dem Text gleichzeitig einen ruhigen, einlullenden Rhythmus. Ein Rhythmus, der noch besser zum Tragen kommt, wenn man den Text laut liest. Überhaupt scheinen die Texte von Camenisch besser zu funktionieren, wenn man sie von ihm selbst gesprochen hört. Sie werden dann noch lebendiger, noch fremder und gleichzeitig so viel vertrauter. Der doppelte Spracheinsatz gibt dem Text eine zweite Ebene, die sich beim stillen Lesen nicht unbedingt erschließt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Sätze, die so voller Schönheit sind, dass man sie am liebsten ganz für sich alleine behalten möchte. Etwa wenn Fred sagt: „Der Sommer ist ein grüngefärbter Winter.“
Somit ist das Episodenbuch ein ständiges Spiel mit Sprache. Einer Sprache, die gleichzeitig furchtbar langweilen und rasend süchtig machen kann und dabei immer und immer Bilder zeichnet, die fremdartig vertraut sind. Sarah Kugler
Arno Camenisch liest am heutigen Dienstag um 20 Uhr im Viktoriagarten in der Geschwister-Scholl-Straße 11. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro
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