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Verloren in der Kälte. Omega (Lili Winderlich) und Pi (Gregor Mitzka) in "Der König vom Berg".

© Johannes Keller

Theater-Jugenclub Potsdam: Im ewigen Winter

Der Jugendclub des Hans Otto Theaters Potsdam feierte überzeugende Premiere mit seiner Produktion „Der König vom Berg“ in der Reithalle.

Stand:

Die Welt ist kalt geworden, für immer kalt. Schuld daran ist eine globale Katastrophe, die die Welt, wie wir sie kennen, in eine Wüste aus Schnee und Eis verwandelt hat. Einige Überlebende haben es geschafft, sich in einen verlassenen Bahnhof zurückzuziehen, wo sie sich von den letzten Vorräten ernähren und verzweifelt darauf warten, dass der Frühling zurückkehrt – und damit eine Welt, die wieder erblüht.

Klingt plakativ? Ist es auch: Diese Reduktion auf ein überschaubares Szenario ist gewollt und das Stück eine der größten Überraschungen, die es seit Langem vom Jugendclub des Hans Otto Theaters zu sehen gab. Zusammen mit dem „Hörclub Kreativ“ des Nikolaisaals entstand unter Leitung von Johannes Keller, der nicht nur das Stück verfasste, sondern auch die Regie übernahm, ein beeindruckendes Theaterereignis, das mit einer Dauer von fast zwei Stunden nicht nur den jungen Darstellern einiges abverlangte, sondern auch den Zuschauern. Sich zurückzulehnen und dem Nachwuchs beim Versuch zuzusehen, Theater zu spielen – das funktioniert jedenfalls nicht.

Nach einer globalen Katastrophe herrscht ewiger Winter

„Selbstreferenzielles Bühnenzeug!“, heißt es gleich zu Anfang. „Hier wird anscheinend die Bühnensituation schamlos ausgenutzt!“ Am besten, man wirft die Zuschauer einfach raus. Was aber, wenn diese einfach nicht gehen wollen? Schließlich haben sie ja bezahlt. Na gut, dann eben doch Theater. Autor Keller gelingt damit das, was bei so vielen Theaterstücken einfach nicht gelingen will: Er hievt die Handlung auf die Metaebene, verwischt die Barriere zwischen den Schauspielern und den bitteschön doch unbeteiligten Zuschauern – indem er sie zu unmittelbaren Augenzeugen der Entstehung der Handlung macht.

Und die geht so: Mitten im Wald erwacht der junge Limes (Ben Gebel) ohne Erinnerung, er läuft los, immer an den Gleisen entlang – bis er auf die Gruppe stößt, die sich im Bahnhof verschanzt hat. Die betet einen Naturgott an, dem sie regelmäßig Opfer bringen muss – den „König vom Berg“. Dieser mysteriösen Figur haben sich alle unterworfen, ihr wird gehuldigt – „Heil dem König vom Berg!“, singt die Gruppe immer wieder mit zittriger Stimme, aber voller Inbrunst – dieser Gesang wird hängen bleiben, auch noch Tage später. Diese Huldigung ist jedoch mehr als die Verehrung der Naturgewalt, des Unerklärlichen – letztlich wird sie als die gottgegebene Verpflichtung benutzt, die über das Recht auf Leben gestellt wird. Ist Limes der Auserwählte, der die Gruppe der Überlebenden anführen wird? Oder ist er sogar deren Untergang?

Existenzangst, Überleben, Liebe bis in den Tod: ein dystopisches Märchen

Natürlich bietet diese religiöse Überhöhung einen fantastischen Anknüpfungspunkt, um dystopische Märchen zu erzählen. Vielleicht sollte man sich die Mühe machen, zu zählen, wie oft allein das Wort „Angst“ in diesem Stück fällt. Denn es sind Extreme, die Keller in diesem Stück ausloten will: Existenzangst, Überleben, Liebe bis in den Tod – und immer wieder die blanke Angst. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist etwa die Schafherde, die von Wölfen bedroht wird. Und die verzweifelte Suche nach Liebe: Für Liebe sind aber alle zu kalt, wie Roboter stapfen sie durch die trostlose Szenerie (Bühne: Julia Scheeler), die Kälte tötet jedes Gefühl.

Ab und zu entstehen zwar einige vermeidbare Längen im Stück, zumal die Sprache sperrig ist, die Metaphorik bisweilen arg gekünstelt wirkt – aber der Effekt ist dennoch enorm: Ganz im Stil des Brechtschen Theaters wird die Realität durchbrochen, sodass man nie genau weiß, ob es um die Handlung oder die Handelnden geht – ab und zu steigen die Figuren nämlich aus ihrer Rolle, um den Fortgang der Entwicklung zu diskutieren. Das eröffnet mehrere Ebenen.

Mit viel Musik wird das Stück fast zum "Grusical"

Die schauspielerische Leistung, die hier geboten wird, ist jedenfalls weit über dem Niveau eines Laien-Jugendclubs – die bellend-geifernde Omega (Lili Winderlich) etwa, die verzweifelt-liebende Epsilon (Sophie Vandrey), die intensiv-hoffende Psi (Franziska Lieske) - und besonders Gamma (Anna-Lena Werner), die in ihrer bedrohlich gut gespielten Aura letztlich über Leichen geht, um selbst die Macht an sich reißen zu können.

Und dann ist da noch die Musik: Fast bewegt sich das Stück auf der Ebene eines Musicals, oder vielmehr eines „Grusicals“: Es wird viel gesungen und mit Flügel, Violine, Percussion und Keyboard eine bedrohliche Atmosphäre erzeugt, die einfach nicht abschwellen will. Gleichzeitig gibt es Momente, in denen die Musik nicht einsetzt, obwohl sie so erlösend erwartet wird. Da waren Profis am Werk: Christian Keller verantwortete die musikalische Leitung und saß am Flügel, während Ralf Böhme vom Nikolaisaal die entstandene Musik arrangierte.

Irgendwann wird ein Vogel auftauchen, dieser längst tot geglaubte Bote einer Zeit nach dem Winter. Aber vielleicht ist es da schon zu spät.

„Der König vom Berg“ wieder am Mittwoch, 16. März, und am Samstag, 19. März, jeweils 19.30 Uhr in der Reithalle.

Oliver Dietrich

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