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Kultur: Im gesteigerten Gefühlsrausch

Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt musizierte im Nikolaisaal

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Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt musizierte im Nikolaisaal Der Start in die neue Saison der Sinfoniekonzertreihe des Nikolaisaals vollzieht sich so, wie man es sich kaum besser vorstellen könnte. Klangsatte und großbesetzte Werke von Bruckner, Strauss und Wagner, die voll der lieblich singenden und leidenschaftlich lodernden Emotionen sind, wollen den Sinnen schmeicheln. Sie verheißen einen Abend der großen Gefühle. Was es dazu braucht? Bestens aufgelegter Musiker (Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt), eines hervorragend präparierten Solisten (Albrecht Mayer, Oboe) und eines umsichtig seines Amtes waltenden Dirigenten (Heribert Beissel) sowie eines erwartungsfroh gestimmten und aufnahmebereiten Publikums (zahlenmäßig in Maßen erschienen). Herz und Hirn, was willst du mehr?! Beispielsweise gleich zu Beginn einen weniger unflexiblen und unsauberen Geigenklang, der das Vorspiel zum 1. Aufzug von Wagners romantischer Oper „Lohengrin“ zu einer hörstrapaziösen Angelegenheit werden lässt. Es klingt stählernhart, glanzlos, ja geradezu strohig, was sich bei diesen ätherischen Höhenflügen eigentlich in süßestem Saitensingen schmachtend verströmen müsste. Da kommen denn doch einige Zweifel an der Spielkultur des Orchesters auf. Auch daran, dass es beim Entree zum 3. Aufzug dermaßen laut zugehen muss, dass Schmiss und brausendes Gejauchze sich zu schier saalberstenden Klangbedrohungen entwickeln. Dass die Frankfurter laut können, ist ja hinlänglich bekannt. War dies der Tribut an die dramatische Lesart des Dirigenten auf das komprimierte Geschehen? Oder hatte er einfach nur vergessen, die Musiker in dieser diffizilen Klanghülle etwas zurückzunehmen?! Dass diese sich in Mezzofortebereichen, vor allem aber im Leisen wohl fühlen, lässt sich bei der beseligenden Wiedergabe von Richard Straussens Oboenkonzert von 1945 erleben. Schwelgerischer Wohlklang bis zum Abwinken, wohin man auch hört. Sein melodienseliges Spätwerk nennt der Komponist eine „Handgelenksübung“. Entsprechend locker und leicht, voller Anmut und brillanter Atemtechnik sowie bestechend weichen Ansatzes bläst es Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker, als einen schier unendlichen Gesang. Bukolische Stimmungen durchströmen die drei nahtlos aufeinander folgenden Sätze dieser liedgeprägten, unentwegt fließenden Musik. Was sich so ohrenbalsamisch und mühelos (auch in der anschmiegsamen Begleitung des nunmehr kleinbesetzten Orchesters) anhört, ist das Ergebnis vorzüglich beherrschter Technik. Doch davon macht der Doppelrohrblattmeister kein großes Aufheben. Zur Sicherheit hat er sich am Dirigentenpodest ein tiefgestelltes Notenpult aufstellen lassen, auf das er zuweilen diskrete Blicke richtet, damit ihm das atemtechnisch besonders anspruchsvolle Werk auch ja gelinge. Keine Bange! Mühelos und sauber bewältigt er die kecksten und kapriziösesten Intervallsprünge. Er schwelgt in Klangwonnen, das Publikum mit ihm. Er ist ein idealer Anwalt von Straussens Sehnsucht nach dem (kriegs-)verlorenen Musenparadies. Seiner traumwandlerisch sicheren Gestaltungskunst dankt das begeisterte Publikum mit Bravorufen. Als Dank reicht er ihm zwei Zugaben, darunter eine Bachsche Sinfonia, die sich auf jener jüngsten CD-Einspielung befindet, die er in der Pause im Foyer signiert. Nach diesem Schlagobers gibt es mit Antons Bruckners Sinfonie Nr. 3 d-Moll ein Klangkunstwerk zu erleben, das aus klanglicher Vollwertkost besteht, mit Wagner-Anklängen nicht spart und in der dritten Fassung erklingt. Kraftvoll deutet sie Heribert Beissel aus. Er setzt auf starke dynamische Kontraste, um die großformatigen Themenblöcke trennscharf zu schichten. Jegliches Aufbäumen und Ermatten, geheimnisvolles Tremolieren und eruptives Ausbrechen vollzieht sich mit zwingender Notwendigkeit. Selbst im Fortissimo bleibt die Durchhörbarkeit des durchweg hell getönten Klangs stets gewahrt, auch im gefühlsentschlackt gespielten Adagio. In den Unisono-Stellen des dritten Satzes „Ziemlich schnell“ funktioniert das Orchester präzise wie ein Uhrwerk. Sauber intoniert das Hornquartett, gefühlsinnig streichen die Geiger, kernig tönt das Holz. Der Abend steigert sich in den Gefühlsrausch. Peter Buske

Peter Buske

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