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Kultur: Im Gitarrengötter-Himmel
An drei Abenden war beim Festival „theartof: Guitar“ im Waschhaus hohe Kunst zu erleben
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Es war eine Messe, die McKee auf der Bühne abhielt. Schlicht unglaublich, was dieser junge Kerl aus seiner Gitarre herausholte, ein Instrument, das er das erste Mal zu seinem 13. Geburtstag in den Händen hielt – ein Geschenk seines Vaters, dem er am Samstagabend in der Waschhaus-Arena mit dem Stück „For my Father“ ein Stück widmete, das es in seiner Zerbrechlichkeit schafft, an keiner Stelle sentimental zu werden. Aber auf Sentimentalitäten hat McKee an diesem Abend sowieso keine Lust: Sein Spiel lebt von der Geschwindigkeit, von der Vielfältigkeit – und von der Überraschung.
Klar, man muss schon etwas bieten, wenn man an drei Tagen eines Wochenendes jeweils eine Koryphäe auf die Bühne lässt und die ganze Reihe „theartof“ betitelt. Die Kunst von etwas wird hier ans Publikum geführt, das, was sich vom Durchschnitt absetzt. Die Idee, besonders schillernde und kreative Protagonisten eines Bereiches zu präsentieren, wurde bereits im vergangenen Jahr im Waschhaus erfolgreich umgesetzt: Zu Jahresbeginn hieß es damals „theartof: Piano“, die Jazzpianisten Iiro Rantala, Aaki Takase und Alexander von Schlippenbach sowie Martin Tingvall brachten die hohe Kunst der Tasten in die winterliche Schiffbauergasse.
Am vergangenen Wochenende ging es nun mit „theartof: Guitar“ in die zweite Auflage der Reihe. Als Andy McKee am Samstagabend ins Waschhaus kam, lockte er so viele Besucher, dass die Vorverkaufsquote nur einen vernünftigen Schluss zuließ: Wenn der amerikanische Gitarrengott schon mal da ist, wird es brechend voll. Nun hat McKee so viel Strahlkraft, dass den meisten Besuchern gar nicht auffiel, dass es sich um nur ein Konzert einer ganzen Reihe handelte. Pech gehabt, für den Abendkassen-Preis des Samstagskonzertes mit McKee hätte es auch ein Festivalticket für alle drei Konzerte gegeben. Ein Wohlfühlprogramm sozusagen, mit Vorspeise und Nachtisch, verteilt auf ein Wochenende. Und dieses Wochenende wurde ein Erfolg, zweifellos.
Wenn man so wie McKee die Kunst des Fingerpickings beherrscht, eröffnen sich neue Welten, Gitarre Plus sozusagen. Ein Instrument, bei dem man die eine Hand für die Percussion benötigt, während die andere wie bei einem Klavier auf die Tasten schlägt, die bei der Gitarre aber Saiten heißen und auf Bünden liegen.
Das funktionierte so gut, dass McKee gleich zwei 80er-Rock-Klassiker nachspielte: zunächst „Everybody Wants To Rule The World“ von Tears for Fears, dem er noch ganz locker „Africa“ von Toto hinterherschob. Sprachlos hinterließ einen die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Spaßvogel seine Gitarre spielt, so als könnte jeder der Anwesenden in der Arena das auch, wenn er nur wollte. Zwischendurch gab es Anekdoten, etwa die, wie McKee, Jeans-und-Hemden-Träger aus Überzeugung, vom Musiker Prince überredet wurde, ihn auf dessen Australientour zu begleiten. Mit einem etwa 15 Meter langen Umhang, auf den das Universum gedruckt war, kam er per Fahrstuhl auf die Bühne, um „Purple Rain“ zu spielen.
Bevor McKee am Samstag die Standing Ovations mit seinem Handy filmen durfte, spielte er noch ein Stück, an dem selbst er sich fast die Finger gebrochen hätte: „Aerial Boundaries“ von Michael Hedges, seinem Vorbild.
Szenenwechsel vom zweifellos großartigen McKee-Konzert zu dem, was am Freitag im kleineren Saal von Claus Boesser-Ferrari geboten wurde: Das nämlich hätte mindestens dieselbe Aufmerksamkeit verdient. Boesser-Ferrari, Vorzeige-Sympath mit schlohweißem Haar, erlaubte sich nur etwas Delay als Effekt, als er anfing, mit seiner Gitarre zu zaubern. Auch er benutzt den Korpus der Gitarre als Percussion, der Sound erinnerte oft an indische Tablas und wird von Flageolett-Tönen unterstrichen. Boesser-Ferrari spielt gerne mit dem Wiedererkennungswert, verpackt verschiedene Themen in seine Stücke, die sich irgendwie vertraut anhören – oft dauert es eine angenehme Weile, bis der Aha-Effekt dann einsetzt. „Light my Fire“ von den Doors war etwa dabei, ein Song, den er immer wieder zwanghaft spielen muss, wie er später gestand, oder „Every Little Thing“ von Sting, aber auch Kurt Weills „Die Legende vom toten Soldaten“.
Am Sonntag dann war mit Uwe Kropinski jemand an der Reihe, der schon im Waschhaus Gitarre gespielt hat, als an die „theartof“-Trilogien noch gar nicht zu denken war: 1997 gab er hier ein Konzert zum 20-jährigen Bühnenjubiläum. Man tat sich zunächst etwas schwer, Kropinski als einen Gitarrenzauberer einzuordnen: Hose und Jacke in derselben knallrot aufdringlichen Farbe, darüber eine schwarze Weste, Tom-Selleck-Schnurrbart und eine Taschenuhr, die er permanent aus seiner Hosentasche pulte.
Sein Eröffnungsstück, eine Improvisation zu Ehren des Waschhauses, entpuppte sich als ein hektisches Gefummel im untersten Bereich des Griffbretts, das mit einigen Flamenco-Einsprengseln garniert war. Nahm er das ernst? Sollte das ein Scherz sein, ein Test? Keineswegs: Bei der perkussiven Energie des zweiten Stückes „Funky Train“ stockte einem der Atem, Kropinski spielte, leicht und aberwitzig funky, Highspeed-Bluesrhythmen auf der Gitarre, der er verrückte Töne entlockt. Dann aber griff Kropinski sich das Mikrofon. Auf einige Songs würde gut Gesang passen, habe er festgestellt, aber niemanden dafür gefunden, deshalb singe er eben selbst. Das hätte er jedoch lassen sollen: Mehr als eine Aneinanderreihung von Anglizismen gelang ihm nicht, seine Stimme ging nicht über die eines gewöhnlichen Lagerfeuergitarristen hinaus, und zu sehr lenkte der Gesang von seinem großartigen Gitarrenspiel ab.
Spannend bleibt, welches Instrument die Waschhaus-Crew im nächsten Jahr in den Fokus stellen wird. Aber selbst eine Reihe „theartof: Waldhorn“ oder „theartof: Xylophon“ würde so einige verrückte Künstler ans Tageslicht bringen, jede Wette.
Oliver Dietrich
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