Von Babette Kaiserkern und Dirk Becker: Im Großen und im Kleinen
Bill Ramsey mit Big Band, Brenda Boykin mit Quartett - Die Vielfalt im Jazzfestival
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Liegt es an der Musik, dem süffigen Big Band Sound mit solider Rhythm & Blues-Basis, oder an den vielen Blechblasinstrumenten, dass kaum Frauen in Big Bands spielen? Die einzige Dame in der Bigband der Deutschen Oper, Karola Elßner, spielte jedenfalls Saxophon und eine exotische Holzflöte. Bei ihrer Potsdamer Premiere mit dem Jazz-Sänger und Schlagerveteranen Bill Ramsey im vollbesetzten Nikolaisaal löste sie am Samstag große Beifallsstürme aus.
Die meisten Musiker der erst vor vier Jahren gegründeten Formation kommen von der Klassik, einige vereinen Jazz und Klassik-Ausbildung, nur wenige sind reine Jazzer. Doch das ist letztlich egal, mit Rolf von Nordenskjöld hat die Bigband einen formidablen Leiter gefunden, der ebenso viel Musikalität wie Charisma verströmt. Klassiker aus Jazz und Swing von Herbie Hancock, Cole Porter oder der japanischen Jazz-Pianistin Toshiko Akiyoshi bringt er lässig und präzis zum Klingen und Vibrieren. Bei den rasenden Grooves, den Salven der knalligen Bläser, den scharfen Riffs, wundert man sich, dass im Publikum alle noch so still dasitzen. Jeder Musiker tritt mindestens einmal mit einem längeren Solo oder im spielerischen Duett hervor. Die introvertierte Basskadenz von Christoph Niemann, die weichen Trompetentöne von Arnold Hänsch, das swingende Piano von Matthias Hessel, die sonore Bassposaune von Thomas Richter, die verspielten Klänge aller Saxophon-Sorten bezeugen die Virtuosität jedes einzelnen Musikers.
Entspannende Ruhepunkte bilden die Kompositionen von Rolf von Nordenskjöld. Der Bandleader, der selbst Baritonsaxophon spielt, produziert in seinen eigenen Stücken farbige, melodisch schattierte Klänge, kleine poetische Musikstücke mit vielen reizvollen Eigenheiten. In der aparten Komposition „Winterlandschaft“ vereinen sich die warmen, melancholischen Klänge des von Karola Elßner gespielten Duduk – einer armenischen Flöte mit Doppelrohrblatt – mit leise tremolierenden Trompeten und schweifenden E-Gitarren-Tonlinien. Nordenskjölds Gesangsstücke „Summer Song“ und „Two-Timer Woman“ bezeugen mit ausgelassenem Scat-Gesang Humor und Spielspaß. Überhaupt ist gute Laune pur programmiert, wenn Bill Ramsey auftritt.
Wie ein gutmütiger Grizzly-Bär steppt der 78-Jährige über die Bühne und gospelt, scattet und tremoliert voller Saft und Kraft. Die alten Arbeits- und Leidenslieder der Schwarzen in Amerika haben es Bill Ramsey besonders angetan. Wie sehr sein Herz am Blues hängt, zeigt sich beim „Work Song“, dem „Watermelon Man“ und dem außergewöhnlichen „All Blues“ von Miles Davis. Auf einmal ist Bill Ramsey gar nicht mehr der ulkige Schlageronkel aus Amerika, so wie ihn viele noch in Erinnerung haben, sondern ein veritabler Jazz Singer voller Sentiment und Inbrunst.
Auch Brenda Boykin ist dem Blues verpflichtet. Doch bei ihrem Auftritt am Freitagabend im ausverkauften Foyer des Nikolaisaals verzichtete sie auf die große Unterstützung. Die vier Musiker ihres Quartetts genügten, um Überzeugunsarbeit am Publikum zu leisten. Und das ließ sich schnell von diesem überschäumenden Gute-Laune-Wesen namens Brenda Boykin einnehmen. Die Frau hat Stimme, die im Funk, Soul und Jazz zuhause ist. Doch mit ihrem erdigen Grundton gibt Brenda Boykin vor allem dem Blues eine wunderbar kraftvolle Note. Aber von Traurigkeit war an diesem Abend nichts zu spüren, dafür sprüht diese Sängerin viel zu sehr vor Lebenslust. Pianist Roman Babik, Schlagzeuger Mickey Neher, Bassist Matthias Bangert und Saxophonist Karlos Boes ließen sich davon schnell anstecken, hatten sofort Blue Note-Blut geleckt und gaben sich exzessiv Sologelagen hin. Da waren sie gnadenlos, zogen ihr Spiel in die Länge. Doch man wurde nicht ärgerlich, sondern gab sich bald willenlos diesen verspielten Improvisationen hin. Bis Brenda Boykin wieder am Mikro war. Gnadenlos herrlich, dem Abend ein musikalisches Strahlen gebend.
Babette Kaiserkern, Dirk Becker
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