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Kultur: Im Grunde ist sie zu lasch
Eine Diskussion im Potsdam Museum über das Dilemma mit der Kunstkritik
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Mit einem Pissoir fing das ganze Dilemma womöglich an. Denn spätestens seit Marcel Duchamp den handelsüblichen Gegenstand 1917 zur Kunst erklärte, kann Kunst, nun ja, alles sein. Handwerkliches Können ist seitdem kein Kriterium mehr, wenn es darum geht, die Arbeit von Künstlern zu bewerten. Eigentlich eine Befreiung für die Gedanken, die Ideen, die Vorstellung von Ästhetik. Eine andere Kunst aber – die der Kunstkritik – hat sich in eine Krise manövriert. Was schief läuft zwischen Kunst und Kunstkritik, das erklärte am Freitagabend im Potsdam Museum Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der „Zeit“. Mit Ina Graetz, der Geschäftsführerin der Villa Schöningen und dem Potsdamer Künstler Christian Heinrich saßen außerdem noch Stellvertreter der anderen Seite auf dem Podium.
Dieser Text ist deshalb eine Kritik dritter Ordnung, eine Kritik der Kritik der Kritik. Genau die richtige Haltung also, denn „der Kritiker muss sich selbst kritisierbar machen“, sagte Rauterberg. Sie muss klar Position beziehen und sich dadurch wiederum angreifbar machen. Nur so entsteht ein echter Dialog über Kunst. Sich konstruktiv streiten ist allemal besser als in trauter Einigkeit zu verharren.
Genau das war aber das Problem des Podiums: Drei schlaue Menschen saßen da, fanden die Kritik an der Kunst zu lasch – und waren sich darin ein bisschen zu einig. Zum Thema hätte ein bisschen mehr Streitlust gepasst, ein paar unpopulärere Meinungen.
Dabei hatte Rauterberg einen guten Start hingelegt und einen flammenden Vortrag über die Müdigkeit der Kritiker gehalten. Zu ängstlich seien die, zu abwägend – und vor allem oft viel zu dicht dran an den Künstlern.
Und das stimmt ja: Wer abends mit den Machern des Kunstbetriebs zecht, wer sich ihnen zu nahe fühlt, dem fehlt die Distanz, der kritische Blick. Wer auf der nächsten Vernissage die einführenden Worte spricht, wer Texte nicht nur für die Zeitung, sondern etwa auch für Ausstellungskataloge schreibt, wer Künstler zu seinen Freunden zählen will, der wird sich schwer damit tun, deren Arbeit zu verreißen oder auch nur mal etwas härter zu besprechen. Dem fehlt dann aber am Ende auch jede Glaubwürdigkeit. Der Kritiker, so Rauterberg, muss also beides schaffen: sich vom Werk der Künstler berühren lassen, es an sich ran lassen und dann wieder genug Abstand dazu gewinnen, um es einzuordnen.
Die Zaghaftigkeit der Kritiker hat, da hat Rauterberg natürlich recht, in Deutschland auch historische Gründe. So lange ist es schließlich nicht her, dass die Avantgarde, dass neuartige Kunst in Deutschland als „entartet“ bezeichnet wurde. Das unterscheidet die bildende Kunst und ihre Kritik dann auch von anderen Sparten wie Musik oder Theater. Dort, sagt Rauterberg, sind Verrisse deutlich häufiger.
Und dann kommt hinzu: Absolute Wahrheiten – oder auch Grenzen – gibt es in der Kunst nicht mehr. Nahezu alles ist möglich, wie will sich dann jemand hinstellen und sagen: Dieses Werk ist mehr Kunst als jenes? Und ist es nicht auch schön, dass alles möglich ist, dass Dinge ineinanderfließen, sich auflösen und neu zusammenfinden dürfen? „Die Gesellschaft liebt heute das Hybride, wer neue Grenzen fordert, macht sich nicht gerade Freunde“, so Rauterberg.
Das ist das Dilemma der Kritiker: Solange noch nicht alles möglich war, solange neue Ausdrucksformen noch einen Skandal auslösen konnten, war eine Funktion der Kunstkritiker auch die, für das Unverstandene zu kämpfen, die Avantgarde zu verteidigen und Entwicklungshelfer zu spielen für das Neue. Das hat sich heute erledigt: Ob jemand die Bilder kopfüber aufhängt oder die Bibel als Comic-Strip zeichnet – wirklich erregt ist darüber keiner mehr. Was hilft also in dieser allgemeinen Gleichgültigkeit? „Die Kunst muss ich wieder ernster nehmen – und die Kritiker sie auch“, sagt Rauterberg.
Da waren dann auch Ina Graetz und Christian Heinrich voll bei ihm: Scharfe Kritiker habe er vor allem an der Akademie – in den Professoren und Kollegen – gehabt, sagte Heinrich. In den 30 Jahren, in denen er mittlerweile ausstelle, habe er kaum je eine schlechte Kritik bekommen. Die Journalisten beschrieben nur, was sie sehen. Es klingt mit: Er fühlt sich von ihnen nicht ernst genommen.
Das sehen zahlreiche Leser offenbar ähnlich: Es geht zu vieles durch, es fehlt die Einordnung, viele teure oder bekannte Künstler würden gar nicht mehr hinterfragt. Das Thema „Zur Kunst der Kunstkritik“ lag den rund 30 Zuhörern im Potsdam Museum sichtlich am Herzen. Also heißt das für Journalisten: härter rangehen? Aber nach welchen Kriterien? Denn ohne die, das ist klar, ist Kritik keine Kritik, sondern Geschmacksurteil. Heinrich, der inzwischen selbst auch als Galerist arbeitet, schaut, sagt er, erst einmal nach dem handwerklichen Können. „Ein Musiker muss schließlich auch sein Instrument beherrschen“, warf der Galerist Werner Ruhnke ein, der die Diskussion moderierte. Doch dieser Ansatz mag bei Malerei funktionieren, bei Installationen, bei Konzeptkunst, überall dort, wo es um die Idee geht, schon viel weniger. Oder um es mit der Musik zu vergleichen: Punk wäre auch keine Kunstform, wenn es ums handwerkliche Können ginge.
Klar ist also: Kritiker müssen nicht nur unabhängig von der Kunst, sondern auch dem Publikum und seinen Wünschen gegenüber sein. Klar ist aber auch: Äpfel lassen sich nicht mit Birnen – und Videokunst nicht mit Malerei vergleichen. Ein zweites Kriterium, das Rauterberg vorschlug, braucht eine Langzeitbeobachtung des Künstlers: „Wird etwas, das anfangs frisch und originell war, irgendwann zur Masche – wie etwa die auf dem Kopf hängenden Bilder bei Baselitz?“ Letztlich gebe es vor allem ein Kriterium für ein gelungenes Werk: Löst es etwas bei mir aus, spricht es zu mir? „Ein Kriterium für gute Kunst könnte sein, dass man gut über sie sprechen kann“, sagte Rauterberg zum Schluss. Damit hatte er seine Anfangsthese – auch Kunstkritik ist eine Kunst – gleich selbst bestätigt: Mit einigem Nachdruck musste Werner Ruhnke das Publikum zum Ende der Debatte überreden.
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