Kultur: Im Höhenrausch
Marieke Spaans und Anton Stecks Gestaltungslust
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Vorsicht vor virtuosen Höhenflügen! Oft verkommen anspruchsvollste Meisterkompositionen auf der Bühne zu akribischer Technikmanie. Da wird auf unterschiedlichsten Instrumenten Geschwindigkeit und Fingerfertigkeit bewiesen. Doch was dem Zuhörer um die Ohren rauscht, ist zwar beeindruckend, oft aber nur beeindruckend blass, blutleer und dröge. Und im artigen Applaus nach überstandener Tortur mischt sich die unbefriedigende Erkenntnis, das da wohl gerade etwas Anspruchsvolles zu hören gewesen sein muss.
Am Donnerstag war der Violinist Anton Steck mit der Cembalistin Marieke Spaans im Kammermusiksaal Havelschlösschen zu Gast. Mit Biber, Westhoff, Geminiani und Veracini standen wahre Meister des Hochbarocks auf dem Programm. Anderthalb Stunden durchs Hochgebirge der virtuosen Instrumentalkunst. Und als Anton Steck das letzte Mal den Bogen über seine Jacobus-Stainer-Violine aus dem Jahr 1658 gestrichen hatte, Marieke Spaans ihre Hände von der Tastatur des Cembalos nahm, war der Kopf des Zuhörers überschwemmt von Bildern. Satt und glücklich lehnte man sich zurück, denn was die beiden Barockspezialisten gezeigt hattenen, war mit jedem Ton volle Kraft, Lust und farbenfrohe und oft auch überschäumende Spielfreude.
Mit einer Toccata von Girolamo Frescobaldi eröffnete Marieke Spaans gemessen das musikalische Fest. Der Übergang zur „Sonata prima á Sopran solo“ von Dario Castello war dann fließend. Das Cembalo bewusst verhalten, dann immer stärker auftrumpfend, fast im Wettstreit mit der Violinstimme Stecks. Der spielte gestaltungsreich, detailbetont, dabei aber im verständlich und nachvollziehbar, rauschte mühelos durch geschwinde Verzierungskaskaden und ließ seine Stainer singen, dass der Zuhörer glauben musste, nicht ein grau-unterkühlter Dezember lag über Potsdam sondern ein aus allen Knospen sprengender, in alle Richtungen austreibender Frühling.
Bei Bibers fünfter Sonata aus dem „Sonatae Violino solo“-Zyklus, der zu einem der Höhepunkt der Violinliteratur in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zählt und Veracinis Sonata accademica op. 2 Nr. 12 kannten Spaans und Steck in ihrem musikalischen Bilderreichtum und der Gestaltungslust kaum noch Grenzen. Das war Weltreise und Gefühlsaufundab, Hochgenuss und Verwirrung im Notenwirbel, dabei aber immer Hochgenuss pur.
Vor den virtuosen Höhenflügen eines Anton Steck in der Begleitung von Marieke Spaans muss nicht gewarnt werden. Im Gegenteil. Diese technisch brillanten und höhenrauschhaften Zustände sind jedem Musikfreunde nur immer und immer wieder zu empfehlen! Dirk Becker
Dirk Becker
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