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Wenn der Zeh die Zähne zeigt. Dann lassen Les Antliaclastes grüßen.

©  Unidram

Kultur: Im Keller

Les Antliaclastes mit „Hilum“ im T-Werk

Stand:

Der Keller war schon immer ein Unort. Hort abgründiger Ängste, an dem sich die Kunst unermüdlich abgearbeitet hat. Doch nach Amstetten, wo Josef Fritzl seine Tochter 24 Jahre in ein Kellerverlies gesperrt und mit ihr mehrere Kinder gezeugt hat, nach Strasshof, wo Wolfgang Priklopil acht Jahre lang Natascha Kampusch in einem Kellerverlies gefangen hielt, hat die Wirklichkeit mit ihrer perfiden Fantasie die Kunst längst übertroffen. Und so schwingt diese Wirklichkeit beständig mit, wenn Künstler sich wieder hinabbegeben in den Keller und ihre Horrorgeschichten erzählen.

Den Keller der französischen Theatertruppe Les Antliaclastes in ihrem Stück „Hilum“ erlebte der Zuschauer am Samstag im T-Werk auf kleiner Guckkastenbühne. Und es empfahl sich, in den ersten Reihen Platz zu nehmen, um dieses schaurig-groteske Treiben im fensterlosen Loch beobachten zu können. Ein vergessener Ort ist dieser Waschkeller. Herausgerissene Rohre, eine rumpelnde Waschmaschine, die Farben ausgeblichen wie in einem Knochengehäuse. Und wie zum Hohn ploppt an diesem unruhestifenden Ort anfangs Popcorn aus einem kleinen Topf. So, als würde hier jemand gute und leichte Unterhaltung wünschen wollen. Doch die Kreaturen, die von Patrick Sims und Josephine Biereye, Rosanna Goodall und Celine Chevy an Marionettenfäden innerhalb einer Stunde durch diesen Keller tänzeln und stolpern, spielen und sterben, sind anfänglich zwar klein und fast schon possierlich. Doch diese knochenbleichen Schädelwesen können nur einem schreckensgeplagten, von Albträumen zerquetschten Hirn entsprungen sein.

Sie erzählen keine Geschichten, nur hanebüchene Grotesken und zu Herzen gehende Sehnsuchtsmomente. Schauernachtgeburten, denen Panik und Wahnsinn das Drehbuch geschrieben haben. Und der Mensch, der hier die Puppen hält, trägt Urgroßmutternachthemden und Stricklappen vor dem Gesicht, die entfernt an mittelalterliche Pestmasken erinnern. Dieser Keller, in dem ein kopfloses Schaukelpferd haust, Schamhaare sprechen und gebärende Waschmaschinen toben, lehrt einem das Fürchten. Aber dieses Fürchten begleitet ein angenehmer Schauer. Und gern steigt man wieder hinab, wenn die unberechenbaren Zauberlehrlinge von Les Antliaclastes mit dabei sind. Dirk Becker

Dirk Becker

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