Kultur: Im Klangraum
Paco Dècina zeigte sein Stück „Indigo“ in der fabrik
Stand:
Als würde man Ameisen auf ihrem Haufen beobachten. Jede hat ein Eigenleben, aber jede ist fremdbestimmt. Die Tänzer auf der Bühne gehören der Musik, sind im Klangraum gefangen.
Zuerst herrscht Stille. Drei Männer stehen auf der Bühne, jeder für sich, jeder starr wie ein Standbild. Langsam wie in Zeitlupe beginnen sie sich zu bewegen. Die Musik hat begonnen. Die ersten einzelnen Töne sind kaum hörbar. Und trotzdem scheinen sie den Frieden auf der Bühne zu bedrohen.
„Indigo“ heißt das Stück, das Paco Dècina mit seinen Tänzern am Donnerstag in der fabrik aufführte, am zweiten Abend der „18. Potsdamer Tanztage“. Indigo wie der organische Stoff, der erst dadurch zu Blau wird, dass Licht auf ihn trifft.
Irgendwann sind die Menschen auf der Bühne zu sechst: vier Männer, zwei Frauen. Sie haben nichts als den Holzboden, Licht, zwei Tücher und ein Kissen. Dècino genügen diese Mittel, um Bilder zu zeichnen. Eine Frau hinter einem aufgehaltenen Tuch wird zu einem Wesen im Wasser, das schwimmt und am Meeresboden kraucht.
Überhaupt erscheinen die Menschen vor allem als organische Wesen. Mal tanzen sie allein, mal vereinen sie sich zu amorphen Gebilden. Sie rollen ineinander verknotet über den Boden, scheinen fast ineinander zu fließen, bis alles wieder zerfällt, die Wesen wieder allein sind.
Oft wirken sie hilflos, wie auf der Suche nach dem anderem. Wenn sie sich finden, berühren sie sich zärtlich oder sie versuchen einander zu unterwerfen. Die Frauen ziehen den Stoff ihrer Kleider über die Gesichter ihrer Partner, die nun blind sind wie Sexsklaven hinter einer Gummimaske. Sie führen die Männer wie an einer Leine, reiten auf ihnen, lassen sich tragen. Und immer wieder verlieren sich die Paare. Mal scheinen sie sich zu bekämpfen. Dann wird die sonst eher monotone psychedelische Musik von Xavier Klaine und Ruth Rosenthal wild und laut.
Dècina war schon während der Tanztage 2004 mit seinem Stück „Soffio“ aufgefallen. Der Italiener hat in Rom klassischen und modernen Tanz studiert. 1984 gründete er in Paris die Kompanie Post-Retroguardia. Sein Stück „Indigo“ entstand 2007.
Gestern erhielten er und seine Tänzer dafür viel Applaus, Getrampel und Bravo-Rufe. Juliane Wedemeyer
Juliane Wedemeyer
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