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Kultur: Im kollektiven Rauschzustand Mit Anne Clark zurück

in die Vergangenheit

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Es war auch einen Zeitreise. Über 20 Jahre zurück. Die ersten Gehversuche in Sachen Schülerdisko. Von Tanzen soll hier nicht die Rede sein. Anne Clark gehörte dazu. Was sie da zu dieser elektronischen Musik melodisch sprach, verstanden wir nicht. Mitgebrüllt haben wir trotzdem, aufgepeitscht von dem treibenden Rhythmus und dem, für unsere damaligen Begriffe, harten Beat. „Our darkness“, „Heaven“ oder „Sleeper in Metropolis“, es gab Zeiten, da stand Anne Clark bei uns höher im Kurs als Depeche Mode, mit denen sie, ganz am Anfang ihrer Karriere, zusammen aufgetreten ist.

Am Samstag dann das Wiedersehen. Anne Clark im Lindenpark. Im vergangenen Jahr hat sie das Album „The smallest acts of kindness“ herausgebracht. Wir waren überrascht, dass sie noch immer Musik macht. Wir hatte sie damals bald aus den Augen verloren, uns für andere Bands interessiert. Depeche Mode, die anderen Pioniere dieser elektronisch-verspielten Musik, die die 80er Jahre prägte, sind all die Jahre präsent geblieben. Die drei Engländer füllen mit ihren Konzerten noch immer Stadien, Anne Clarks Besuch in Potsdam sorgte zumindest für einen vollen Lindenpark.

An ihren alten Hits wird sie noch immer gemessen. Anne Clark weiß um diese Unabänderlichkeit und sträubt sich zum Glück nicht dagegen. Sie traktierte das Publikum nicht den ganzen Abend mit ihren neueren Liedern und verpackte dann erst in einer Zugabe die alten Gassenhauer. Schon das zweite Lied jagte uns zurück in die Vergangenheit. Dieser treibende Rhythmus, dieser bekannte Beat, und darüber die markante Stimme, die die Zeilen in Spoken-Word-Manier zuweilen hart und kantig durch das Mikrofon schleudert. Und durch das Publikum ging dieser beglückende Ruck, dieses euphorische Gefühl des Wiedererkennens, das wirkt wie ein Rausch.

Das Elektronische liefert noch immer die Grundierung für die Musik der 48-Jährigen. Hinzugekommen sind Cello, Gitarre und Schlagzeug. Da ist immer noch viel tanzbarer Pop in ihren neuen Liedern, mal angereichert durch Techno oder Metall-Attacken. Die Band, mit der Anne Clark tourt, ist perfekt abgestimmt, Schlagzeuger Niko Lai ist ein gnadenloser Pulstreiber und das Kraftwerk dieser Musik. Das Gespielte klingt zwar anspruchsvoll, aber auch beliebig. Erst wenn Anne Clark zum Mikrofon greift und anhebt zu sprechen, bekommen die Lieder ihre individuelle Note.

Das Publikum fraß Anne Clark an diesem Abend aus der Hand. Und sie genoss die ausgelassene Stimmung sichtlich, streute immer wieder einen ihrer Hits ins Programm, um die Ausschüttung der Glückshormone auf hohem Niveau zu halten. Als dann die markante Melodie von „Sleeper in Metropolis“ anhob, schlug der Pegel noch einmal ganz stark nach oben. Wie eine immer größer werdende Gewitterwand schob sich die Musik in den Lindenpark und peitschte das glückliche Volk. Und da war es wieder, dieses berauschende Gefühl wie damals in der Schülerdisko, als noch ein Lied ausreichte, das bloß nie enden sollte, um sich groß und stark zu fühlen und zu wissen, dass einem die ganze Welt gehören kann. Dirk Becker

Dirk Becker

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