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Kultur: Im Kuriositätenkabinett
Das Staatstheater Cottbus gastierte mit „Candide“ am Hans Otto Theater
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In Reih und Glied steht der Chor des Staatstheaters Cottbus auf der Bühne des Hans Otto Theaters und singt den Choral von der entzückenden Einfachheit des Landes Westfalen. Von der ersten Szene an wird deutlich, dass Leonard Bernsteins „komische Operette“ mit dem Namen „Candide“ von Regisseur Wolfgang Lachnitt als heitere Revue inszeniert wird. Von der flammenden Empörung die den Ausgangstext – Voltaires gleichnamigen Roman – bis heute spannend macht, ist nicht viel übrig geblieben. Und warum dieser Roman gleich nach seinem Erscheinen in ganz Europa bis auf Preußen verboten wurde, bleibt dann auch ziemlich schleierhaft.
Ausgangspunkt von „Candide“, das am Wochenende als Gastspiel des Staatstheaters Cottbus in Potsdam zu erleben war, ist das westfälische Schloss Thunder ten Tronck, wo Meister Pangloss verkündet, dass die Welt nun einmal zum Besten eingerichtet sei und sich hinter allem, was geschieht, stets ein guter Zweck verberge. Selbstverständlich wird diese Lehre nicht angezweifelt, weder von den adeligen und sehr standesbewussten Herrschaften, noch von deren Kindern und erst recht nicht von Candide, seinem gelehrigsten Schüler. Aber bald müssen Candide und das Publikum erleben, wie dieser gottverliehene Optimismus, eine Anspielung auf den absolutistischen Determinismus des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, ins Wanken gerät.
In diversen Ländern der Alten und der Neuen Welt lernt Candide auf seiner unfreiwillig begonnenen Reise die gesammelten Schlechtigkeiten der Menschen und die Grausamkeiten der Natur kennen. Seien es Betrug, Verrat, Gier oder Geiz – nichts bringt den einfältigen Helden, der von Hardy Brachmann schön brav und naiv mit Matrosenanzug, rotem Lockenschopf und einem großen Spielzeugschaf gespielt wird, von seiner Hoffnung auf das Wiedersehen mit seiner geliebten Cunegonde ab. Dass er wie das gesamte Personal holzschnittartig auf bestimmte Funktionen beschränkt ist, zeigt sich bereits in der literarischen Vorlage. Etwaige Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse, eine Praxis die nicht nur Voltaire, sondern auch Leonard Bernstein und seine Librettistin Lillian Hellman ausübten, entfallen völlig. Lieber verharrt die Handlung im Kuriositätenkabinett der Vergangenheit und lässt dort sogar einen leibhaftigen Voltaire als Märchenerzähler auftreten.
Es bleibt somit Musik und Theater überlassen, der ebenso wahnwitzigen wie polemischen Fabel Leben einzuhauchen. Das geschieht nur sehr gemächlich und zaghaft, vor allem im ersten Teil. Dabei schöpft Leonard Bernsteins „komische Operette“ mit ihrem rasanten, respektlosen Stilgemisch reichlich aus den Quellen von Ironie und Parodie. Gesangliche und spielerische Höhepunkte setzt Sopranistin Cornelia Zink mit der hinreißenden „Juwelen-Arie“, einer markanten, äußerst anspruchsvollen Opern-Persiflage. Als Old Lady hat Carola Fischer einen großen Auftritt im Tango-Lied. Hardy Brachmann singt mit angenehm zurückhaltend timbrierter Tenorstimme seine Sehnsuchtslieder. Überzeugend gelingen auch die zahlreichen Terzette, Quartette und Chor-Szenen. Nicht immer geht auf, dass die Sänger auch schauspielerisch stark gefordert werden. Dreifach- und Vierfach-Rollen, wie sie etwa Heiko Walter als Voltaire, Pangloss, Cacambo und Martin innehat, wirken eher unscharf. Erwähnt werden muss Dirk Kleinke, der nicht nur insgesamt neun Rollen verkörperte, sondern auch für den erkrankten Matthias Bleidorn einsprang und überaus wohltönend aus dem Off sang.
Erst beim bombastischen Finale, ein Happy End in Hollywood-Manier, scheint der reißende Zwiespalt zwischen Sein und Schein aufgehoben zu sein, zumindest in dieser Aufführung mit dem klangvoll aufspielenden Orchester unter der Leitung von Marc Niemann.
Babette Kaiserkern
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