Kultur: Im Land des Vaters
Sibylle Lewitscharoff las aus „Apostoloff“ im „Literarischen Salon“
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Freunde hat sich Sibylle Lewitscharoff mit ihrem Roman „Apostoloff“ in Bulgarien nicht gemacht. Denn was bisher in den bulgarischen Medien über sie und das Buch berichtet wurde, war nicht gerade schmeichelhaft. Und wer am Dienstagabend im Theaterschiff zu den knapp 40 Besuchern gehörte und erleben durfte, wie Sibylle Lewitscharoff aus „Apostoloff“ las, der wird zumindest bei der Beschreibung eines Besuchs bei Saschko Trendafilow, einem lokalen bulgarischen Mafiaboss, ein gewisses Verständnis für die Antipathien aufgebracht haben. Denn schmeichelhaft ist das, was Sibylle Lewitscharoff ihre Ich-Erzählerin von diesem Besuch berichten lässt, wahrlich nicht.
Aber es ist ein Genuss! Auf jeder Seite! Schon das Lesen von „Apostoloff“ (Suhrkamp Verlag 2009, 19,80 €), dieser makaberen und von einem ständig so herrlich zeternden und schimpfenden Ton begleiteten Reise von Stuttgart nach Sofia ist ein Erlebnis. Da ist ein Konvoi von 18 schwarzen Limousinen mit den sterblichen Überresten von 18 Exilbulgaren unterwegs. Und auf der Rückbank eines dieser Autos sitzen zwei Schwestern. Die eine ruhig, nett und versöhnend, die andere, die Ich-Erzählerin, voller Wut und Hass und einem gnadenlosen Blick auf ihre Umgebung. Doch so herrlich betont und pointiert gelesen, wie von Sibylle Lewitscharoff beim vierten und vorerst letzten „Literarischen Salon“ am Dienstag, gewinnt dieser Roman noch mehr an Farbe und Facetten und wird die feine und kunstvolle Sprachmelodie deutlicher.
„Apostoloff“ ist Literatur. Doch weil Sibylle Lewitscharoff in diesen Roman, für den sie im Frühjahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, auch die eigene Geschichte einfließen lässt, sind Fragen zu „Apostoloff“ oft auch Fragen an die Geschichte von Sibylle Lewitscharoff.
Erstaunlich offen stand die Schriftstellerin im „Literarischen Salon“ Rede und Antwort und scheute sich auch nicht, den Umgang mit eigenen Schicksalsschlägen darzulegen. Wie die Ich-Erzählerin ist Sibylle Lewitscharoff in Stuttgart geboren. Und wie die Ich-Erzählerin stammte auch der Vater von ihr aus Bulgarien und nahm sich das Leben, als sie noch ein Kind war. Diese verzweifelte Wut, die den Ton in „Apostoloff“ prägt, ist einmal die Wut von Sibylle Lewitscharoff gewesen. Doch das ist lange her. Und so konnte sie auch ganz souverän damit umgehen, als bei einer früheren Lesung ein Moderator sie ständig fragen musste, warum sie einen solchen Hass auf ihren Vater habe.
Elke Liebs, die Organisatorin vom „Literarischen Salon“, hatte diese Lesung und die ständigen Angriffe auf Sibylle Lewitscharoff als Besucherin erleben müssen und sich gesagt, dass sie es anders machen will. Und so suchte sie am Dienstag mit Geduld, immer wieder das Gespräch zwischen Schriftstellerin und Publikum zu vermitteln. Oft enden solche Versuche in betretenem Schweigen. Doch Elke Liebs Hartnäckigkeit wurde belohnt, und so entspann sich ein Gespräch unter anderem über das heutige Bulgarien und die unhaltbaren Lebensumstände, wo, laut Lewitscharoff, etwa 70 Prozent der Bevölkerung in zu engen und maroden Wohnblocks leben. Seit ihrer Kindheit hat sie Bulgarien immer wieder besucht und ist für die Recherchen zu „Apostoloff“ viel durch das Land gereist. Und was sie wütend macht im Land ihres Vaters, hat sie in den Roman einfließen lassen. Den Vorwurf als Nestbeschmutzerin nimmt sie dafür hin. Aber als Art Versöhnungsangebot habe sie gerade eine Reisegeschichte über eine paradisische Insel in Bulgarien veröffentlich. „Idyllischer kann man gar nicht über dieses Land schreiben“, sagte sie mit ironischem Lächeln. Dirk Becker
Dirk Becker
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