zum Hauptinhalt

Kultur: Im Leben der Anderen

Antje Rávic Strubel erzählt in „Vom Dorf. Abenteuergeschichten zum Fest“ die Geschichte einer Verfolgung

Stand:

Der Mann bleibt namenlos. Doch seine Obsession lernen wir bis ins kleinste Detail kennen. Er ist ein Stalker. Einer, der andere verfolgt und belästigt. In diesem Fall heißt sein Opfer Antje Rávic Strubel. Er sieht in ihr eine Seelenverwandte, will ihr so nahe sein, wie nur möglich. Als ihn Antje Rávic Strubel wiederholt zurückweist, plant er, sich zu rächen. Nicht mit körperlicher Gewalt, sondern mit Psychoterror. Er will schreiben wie sie und die Geschichten unter ihrem Namen veröffentlichen.

„Vom Dorf. Abenteuergeschichten zum Fest“ heißt das neueste Buch der Potsdamer Autorin Antje Rávic Strubel. Zwar verleugnet Rávic Strubel im Vorwort die Autorenschaft, spricht davon, dass das Manuskript namenlos bei ihrem Verlag einging und sie sich nach anfänglicher Verwirrung und Ablehnung doch für eine Veröffentlichung entschieden hat. Doch das ist ein bekannter Kunstgriff, der die gesamte Literaturgeschichte durchzieht: Der eigentliche Autor versteckt sich hinter der Herausgeberschaft eines anonymen Manuskripts.

Der angebliche Autor, ein desillusionierter Mann Ende 50, der, von seiner Frau verlassen, in einem Haus in irgendeinem Dorf im Brandenburgischen lebt, hat acht Weihnachtsgeschichten geschrieben. Er hat erfahren, dass Antje Rávic Strubel jedes Jahr zu Weihnachten eine Geschichte für ihren Bruder schreibt. Nun versucht er mit seinen Weihnachtsgeschichten, ihren Stil zu kopieren. Daneben sind Protokolle seiner Obsession und ein paar wenige Briefe an Antje Rávic Strubel zu lesen.

Die Protokolle gehören zu dem Stärksten in diesem Buch. Hier umkreist Rávic Strubel mit einer sprachlichen Genauigkeit und einem Feingefühl die Psyche eines Menschen, der sich wie eine gefangene Ratte in einem Käfig fühlt, unfähig zu jeglicher Gegenwehr. Das Leben mit all“ seinen Begleitumständen wie Arbeit und den Gesprächen mit den wenigen Bekannten, gilt es zu erdulden. Bis der Mann in einer Potsdamer Buchhandlung Antje Rávic Strubel bei einer Lesung erlebt. Ihre Frage: „Hadern Sie denn nicht manchmal mit dem, der Sie sind?“ wird ihm zum Leitmotiv hinaus aus seiner festgefahrenen Existenz. Dass die Schriftstellerin die von ihm beanspruchte und hartnäckig eingeforderter Seelenverwandtschaft nicht akzeptiert, sich sogar hart zu Wehr setzt, führt nur noch stärker in die Isolation.

Ein Zimmer in seinem Haus, das mit Bildern von Antje Rávic Strubel tapeziert ist, ein Mädchen, das aus seinem Dorf verschwindet, die Polizei, die sich plötzlich sehr für ihn zu interessieren scheint, seine wiederholten Versuche, die Schriftstellerin für sich zu gewinnen – in den Protokollen webt Rávic Strubel ein feines Netz von Andeutungen und Möglichkeiten. Und je näher sie diesem namenlosen Mann kommt, seine Einsamkeit und Besessenheit gnadenlos offen legt, umso spürbarer wird der Horror, der von einem solchen Menschen ausgehen muss.

Die Weihnachtsgeschichten bleiben jedoch nur Ärgernisse. In jeder taucht eine ältere, grauhaarige Freundin der Schriftstellerin auf, die bemüht berlinert und aus jeder Situation einen Ausweg weiß. Dass diese Geschichten zum Glück nicht den traditionellen Themen anheim fallen, starke phantastische Momente haben, machen sie auch nicht besser. Zwar hat diese Geschichten der Stalker geschrieben, doch der Leser weiß, dass dahinter Antje Rávic Strubel steht.

Hätte sie sich in „Vom Dorf“ auf die Protokolle ihres Stalker beschränkt, dieses Buch wäre vielleicht zu einem ausgezeichneten Psychogramm eines Besessenen geworden. Doch da zum Weihnachtsfest Versöhnliches gehört, lässt Antje Rávic Strubel zum Ende ihren Stalker sogar zur Einsicht kommen, dass seine Obsession nicht der richtige Weg sein kann. So viel Ernüchterung für den Leser und fehlende Bereitschaft zum Risiko ist dann doch überraschend für eine Schriftstellerin wie Antje Rávic Strubel, die mit ihrem Anfang des Jahres erschienen, herausragenden Roman „Kältere Schichten der Luft“ genau das Gegenteil bewiesen hat.

Antje Rávic Strubel: Vom Dorf. Abenteuergeschichten zum Fest, dtv premium, 200 Seiten, 12 Euro.

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })