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Von Dirk Becker: Im Moor, da haust der Bösewicht

Simon Beckett stellt in Potsdam seinen neuen David-Hunter-Roman „Verwesung“ vor

Stand:

Am Anfang ist das Glück der heilen Welt. Ein Standardglück. Doch aus dem richtigen Winkel betrachtet, ist es ein Glück, das sich nicht überbieten lässt.

Am Anfang von „Verwesung“ erleben wir David Hunter im banalsten Familienglück. Zusammen mit seiner Frau Kara und der fünfjährigen Tochter Alice sitzt Hunter beim Frühstück und lässt sich, bevor er sich auf den Weg nach Dartmoor in der englischen Grafschaft Devon macht, vom Töchterchen mit Erdbeerjoghurt bekleckern. Bevor Hunter das Haus verlässt, ermahnt ihn seine Frau noch: „Fahr vorsichtig.“

Der erfahrene Beckett-Leser weiß da schon, dass dieses Alltagsglück für Hunter ein vergangenes ist. Schon in „Die Chemie des Todes“, dem ersten Roman in der mit „Verwesung“ auf mittlerweile vier Bücher angewachsenen Hunter-Reihe, war von dem Unfall zu lesen, der Kara und Alice das Leben kostet. In dem Thriller „Verwesung“, den Simon Beckett am morgigen Mittwoch im Waschhaus als Auftakt seiner Lesereise durch Deutschland vorstellt, dreht er die Zeit um acht Jahre zurück. Klara und Alice leben noch, und David Hunter ist auf dem Weg das zu tun, was er wie kein anderer kann. Leichen zu untersuchen und herauszufinden, unter welchen Umständen sie zu Tode gekommen sind. Und weil bei den von Hunter untersuchten Leichen und Morden immer Serienmörder der übelsten Sorte ihre Finger im Spiel haben, sind die Umstände entsprechend haarsträubend.

Im Grunde sind das schon die Zutaten zu Simon Becketts Erfolgsrezept. Ein vom Schicksal gebeutelter forensischer Ermittler, der auf seinem Seziertisch mit den Produkten in ihrer Brutalität äußerst phantasievoller Mörder zu tun bekommt. Aber dabei beschränkt sich seine Arbeit nicht allein auf das Herumschnippeln an Leichenresten, sondern beinhaltet auch die mehr oder weniger erfolgreiche Jagd nach dem so durchtriebenen Bösewicht. Dabei befriedigt Beckett auf der einen Seite die alte Neugier des Menschen, aus sicherer Distanz in den unendlich tiefen und unendlich schwarzen, nie zu ergründen und also nie zu erklärenden Abgrund menschlicher Verwerflichkeit zu schauen. Auf der anderen schwimmt Beckett auf der Welle, die seit Jahren schon durch die Fernsehsender schwappt und in immer neuen Formaten à la „CSI: Den Tätern auf der Spur“ die kriminalistisch-forensische Ermittlungsarbeit in Mordfällen so leicht und luftig und rein darstellt wie ein fröhlicher Sonntagsspaziergang im Frühlingssonnenschein. Dass neben Simon Beckett unzählige Autoren dieses Thriller/Crime-Genre bedienen und dabei, obwohl sie alle die gleiche Geschichte in unzähligen Variationen immer wieder nur neu erzählen, die Mordphantasien oft ins Groteske treiben, ist das eine. Das andere: Dass Beckett, der laut Verlag mittlerweile fünf Millionen Taschenbücher und 600 000 Hardcover verkauft hat und dessen Bücher in 27 Sprachen übersetzt wurden, damit so erfolgreich ist.

Simon Beckett hat mit seiner Hunter-Serie, wobei allein der Nachname seines Helden – zu Deutsch Jäger – wenig originell erscheint, einen Nerv der Leserschaft und hier vor allem in Deutschland getroffen. Sprachliches Raffinement, wie es beispielsweise David Peace in diesem Serienmörderkrimigenre beherrscht, ist Becketts Sache nicht. Sein Stil ist einfach und schlicht. Aber mit dem versteht er die Spannung zu erzeugen, die bei seinen Fans dazu führt, dass sie seine Bücher, einmal in die Hand genommen, erst dann wieder weglegen, wenn sie die letzte Seite erreicht haben. Aber bei aller Meuchelei und Gliedmaßenentfernung bleibt immer noch Zeit für ein kleines selbstironisches Augenzwinkern. Denn wie anders sollte man in „Verwesung“ Becketts Wahl ausgerechnet für Dartmoor lesen, wo er seinen Unhold Jerome Monk Schlimmes anstellen lässt? Denn schon der große Arthur Conan Doyle ließ hier seinen Sherlock Holmes dem „Hund von Baskerville“ nachstellen.

Hier, im finsteren Dartmoor also, wo mit Vorliebe, so zumindest in der Literatur, das Böse nistet, wird eine Leiche gefunden. Experte Hunter wird gerufen, eilt an Ort und Stelle und identifiziert die Überreste als Tina Williams. Jene Tina, und dazu noch die Benett-Zwillinge, waren Opfer des Unholds Jerome Monk geworden. „Wenn jemand wie ein Mörder aussah, dann Monk“, schreibt Beckett.

„Mit seinen schon beinahe unheimlichen Kräften war er eine groteske Gestalt, eine Laune der Natur. Die Fotos und Filmaufnahmen von seinem Prozess zeigten einen Koloss von einem Mann, in dessen Riesenschädel mürrische Züge eingekerbt waren. Seine schwarzen Knopfaugen waren leblos wie die einer Puppe, der Mund schien ständig höhnisch zu grinsen. Noch beunruhigender war die Delle in seiner Stirn – als hätte sich ein riesiger Daumen in einen Lehmklumpen gedrückt. Diese Verunstaltung war nicht nur furchtbar anzuschauen, sie sah auch aus, als hätte sie eigentlich tödlich sein müssen.“

Ja, wer einem solchen Gesellen beim Wandern im Dartmoor begegnet, sollte schleunigst das Weite suchen. Denn in diesem zerknautschten Schädel haust eine grausige Phantasie. Tina Williams und die Benett-Zwillinge haben das am eigenen Leib erfahren müssen und nicht überlebt. Doch als Monk der Verbrechen überführt wird, weigert er sich, die Verstecke der Leichen preiszugeben. Auch der Zufallsleichenfund, David Hunters Ermittlungsarbeit und eine Suchaktion helfen hier nicht weiter. Als Jerome Monk dann nach acht Jahren die Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis gelingt, beginnt er eine Jagd nach den Leuten, die an der Suchaktion nach seinen Leichen, seinen Trophäen beteiligt waren.

Natürlich ist auch David Hunter in diese Jagd verwickelt. Und natürlich ist ihm Monk immer einen entscheidenden Schritt voraus. Aber mit ein bisschen Glück ...

Simon Beckett stellt am morgigen Mittwoch, 20 Uhr, seinen neuen Roman „Verwesung“ im Waschhaus, Schiffbauergasse, vor. Der Eintritt kostet 14 Euro. „Verwesung“ ist im Rowohlt Verlag erschienen und kostet 22,95 Euro

Dirk Becker

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