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Kultur: Im Nikolaisaal: Die Callas der Violine

Das Streichquartett gilt als die Krone der kammermusikalischen Schöpfung. Nachdem sich ein zweites Cello (seit Boccherini) oder eine zweite Bratsche (bei Michael Haydn) gleich einem Bariton in diese Vollkommenheit einschmuggelte, erschien das daraus entstehende Streichquintett als eine „unreine“ Gattung.

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Das Streichquartett gilt als die Krone der kammermusikalischen Schöpfung. Nachdem sich ein zweites Cello (seit Boccherini) oder eine zweite Bratsche (bei Michael Haydn) gleich einem Bariton in diese Vollkommenheit einschmuggelte, erschien das daraus entstehende Streichquintett als eine „unreine“ Gattung. Kritiker nörgelten, dass bei aller Erweiterung der Klangfülle die reine Lehre des vierstimmigen Satzes infrage gestellt würde, der Klang sich verdicke oder in Gruppen auflöse. Selbst Schumann zeigte sich der neuen Gattung nicht sonderlich zugetan: statt „vier einzelner Menschen“ habe man nun „eine Versammlung“ vor sich.

Er kannte die Truppe um Geigerin Antje Weithaas nicht, die in dieser Saison der Kammerakademie Potsdam als „Artist in residence“ zu Diensten ist. Mit einigen von ihnen studierte sie „Romantische Streichquintette“ ein, die man bei der sonntäglichen „Stunde der Musik“ im ausgebuchten Foyer des Nikolaisaals aufführte. Sie alle stehen in der österreichischen Traditionslinie mit zwei Bratschen à la Michael Haydn. Von Verdickungen oder sonstigen Zerfallserscheinungen ist weit und breit nichts zu hören. Stattdessen ein prägnanter Klang, der in seiner Direktheit und Klarheit schlichtweg Staunen macht. Zur Einstimmung erklingt Ludwig van Beethovens frühes C-Dur-Opus 29, in dem der überlieferte Quartettstil auf großflächig-orchestrale Weise erweitert ist.

Während vier Streicher mit eng beeinanderliegenden Intervallen, die „Drehbewegungen“ gleichen, auf Themensuche gehen, meldet sich die 1. Violine (Antje Weithaas) mit spritzigen Aufwärtsläufen zu Wort. Später ordnet sie sich dem musikalischen Geschehen unter, lässt das Bratschendoppel (Christoph Starke, Susan Knight) gebührend wirken und stachelt die Leidenschaften auch der anderen Mitstreiter (Christiane Plath, Violine II und Anna Carewe, Violoncello) an. Dabei sitzt und spielt die Primaria wie auf dem Sprung. Sie windet sich im Fluss der Melodien, kriecht gleichsam in sich hinein, strafft den Rücken, wenn es zu Höhenflügen oder dramatischen Bekenntnissen anzusetzen gilt Körperlichkeit und Spannung als wesentliches Kriterium bei einer sachgerechten Musikproduktion – hier wird’s erlebbar und zum Ereignis. Genauso wie die Unmittelbarkeit des Ausdrucks, bei dem Leidenschaft stets vor Schönheit geht – wie bei der Callas, die Wohllaut, Brio und vokalen Furor in seltenen Einklang zu bringen verstand.

Auch in Felix Mendelssohn-Bartholdys klanggesättigtem 2. Streichquintett op. 87 bevorzugt man eine unverzärtelte, zupackende und sehr akzentuierte Lesart – eine gleichsam fünffach potenzierte Explosivität (diesmal mit Peter Rainer als zweitem Violinisten). Davon abgehoben ein besinnliches Nebenthema, das alsbald in den Strudel der unruhevollen Entwicklungen gerät. Geradezu beklemmend ausgedeutet wird das „Adagio e lento“ als ein schmerzzerrissener, tränentrockner Klagegesang voller Unnachgiebigkeit und Aufbegehrens. Romantik als Synonym für Behäbigkeit und Gefühligkeit findet hier genauso wenig statt wie bei der Darbietung von Johannes Brahms’ F-Dur-Quintett Nr.1 op. 88, das in seiner Machart stark von Mendelssohn beeinflusst ist. Kontrastbetont wird es musiziert. Klangsonor und nachdrücklich schreitet das Grave einher, gefolgt von lieblichen bis kapriziösen Abschnitten. Den Musikern, die sich durchweg als hinreißende Notengestalter verstehen, fällt nicht minder intensiver Beifall zu.Peter Buske

Peter Buske

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