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Jeder findet bei ihr eine Ecke, in der er sich gestalterisch ausleben kann. Bei Heike Isenmann verschmelzen Arbeit und Privat.

© A. Klaer

Kultur: Im Reich des Sehens

Heike Isenmann bietet Schülern im Kunstgriff.23 eine Auszeit fernab von Leistungsdruck

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Mit dem Fahrrad geht es über Kopfsteinpflaster durch Potsdam-West. Im Licht der schwächer werdenden Herbstsonne, vorbei an rosafarben und gelb-rot gestrichenen Fassaden sanierter Altbauten. Dann hinein in eine unscheinbare Hofeinfahrt und entlang einer meterhohen grauen Mauer, hinter der das Grün wild hervorwuchert. Durch ein vergittertes Tor betritt Heike Isenmann die alte Gärtnerei in der Lennéstraße, die heute in großflächige Gartengrundstücke aufgeteilt ist.

Blumen leuchten ihr letztes Grün, Rot und Lila. Zäune gibt es hier nicht, allenfalls ein paar Beete und Sträucher, die die Gärten voneinander abgrenzen. Kleine Wohnwagen, die über die Jahre zu Gartenhäuschen umgebaut wurden, stehen unter alten Apfelbäumen. Es duftet nach nassem Laub. Im Garten von Heike Isenmann blüht noch die vom Frost gekräuselte Kapuzinerkresse, eine Porzellantasse baumelt an einem großen Stück Treibholz. Zwischen zwei Bäumen ist eine Slack-Line zum Balancieren gespannt.

„Neulich, als es noch so warm war, bin ich mit ein paar Kindern aus einem Kurs her gekommen. Das war das totale Paradies für die“, sagt Heike Isenmann. Wie Blumen wachsen, ihre Kraft, die Erde zu durchbrechen, wie sie ihren Blütenkopf dem Licht zuwenden – das alles könne man nur malen, wenn man diese Blumen wirklich mal richtig betrachtet habe. Malen lernen, das heiße auch sehen lernen. Und nur was man richtig gesehen habe, könne man auch gut malen, sagt Heike Isenmann. Ihre Augen leuchten – das hier ist ihr Reich. Dieses Reich ist für die 46-Jährige ein Ort der Auszeit. Hierher zieht sie sich zurück, wenn der Alltag zu stressig wird, zu viel von ihr verlangt. Ruhe findet sie hier, und die Energie, die sie braucht. Manchmal öffnet sie dieses Reich für Kinder, damit auch sie etwas erahnen können von diesem Glück.

Seit 2005 gibt Heike Isenmann Kunst-Kurse. Ihr Atelier befindet sich ganz in der Nähe des Gartens, nur zwei Straßen entfernt. Zweimal in der Woche wird das „Kunstgriff. 23“, wie sie ihr Atelier nennt, zur Zeichenschule. Dort ging es in den vergangenen Wochen auch um das Thema Postkarte, wie man selbst welche gestalten kann. Darüber erzählt ab kommenden Montag eine Ausstellung, an der sich nicht nur ihre Schüler, sondern auch erwachsene Künstler beteiligt haben. Dass sie mit ihren Schülern auch in ihrem Garten malt, druckt, fotografiert und schreibt, macht deutlich, was Heike Isenmann bieten möchte. Es geht ihr nicht allein um die Vermittlung von Können. Sie schafft eine Auszeit fernab von Leistungsdruck und Terminstress – einen Raum, in dem die Kinder Zeit für sich selbst haben.

Auf ihrer Website nennt sie sich „Frau Isenmann“. Einige Freunde sprechen sie schon immer und bis heute lieber mit Frau Isenmann an, erklärt sie ihren Künstlernamen. „Frau Isenmann ließ immer alles offen, egal ob ich einfach Frau bin, Schneiderin, Theatermalerin, Bühnentante, Künstlerin, fotografiere oder illustriere, Kurse gebe oder Taxifahrerin werde.“ Fotografien, Theaterkulissen, Druckgrafiken, Malereien, all das findet man auf der Website – ihre eigenen Kunstprojekte.

Geboren in Potsdam, malte sie schon als Heranwachsende sehr viel. Aber Künstlerin werden? „Ich dachte immer: Künstler, das sind die, die sich ein Ohr abschneiden, wie van Gogh. Ich wollte mir kein Ohr abschneiden. Ich wollte meine Kunst anwenden.“ Sie ließ sich erst zur Kostümschneiderin ausbilden und studierte dann Theatermalerei in Dresden. Doch immer wieder fand sie sich in Situationen wieder, in denen sie gezwungen war, sich beruflich neu zu orientieren. Vom Beruf der Theatermalerin hatte sie sich schon früh verabschiedet, weil sie als Frau keine Festanstellung fand. In der DDR hatte man ihr das noch prophezeit. Sie bekam nur Praktikumsplätze, die Männer die Jobs. „Aber irgendwie ist das ja auch richtig. Das ist ein körperlich sehr anstrengender Job. Was die Frauen an Kulissen nicht tragen können, müssen die Männer dann eben doppelt tragen“, sagt sie. Statt sich weiterhin in die Theatermalerei zu verbeißen, entschied sie sich dafür, zurück nach Potsdam zu gehen und Druckgrafik zu studieren. Ende der 90er Jahre kam ihr Sohn zur Welt. Wieder musste sie, die nun als Grafikerin arbeitete, umsatteln: zu unregelmäßig das Gehalt, zu lang die Arbeitszeiten, zu stressig der ewige Kampf um Aufträge. Ein Ohr wollte sie sich noch immer nicht abschneiden – aber das Leben mit der Kunst gegen einen geregelten Büro-Alltag tauschen? Das kam für sie auch nicht infrage.

In dieser Zeit der Unruhe zeigte ein Bekannter ihr sein Erbe: die alte Gärtnerei. Er bot ihr an, darin ein Gartengrundstück zu mieten. „Ich habe sofort gewusst, dass dieser Ort zu mir gehört. Naja, so musste ich auf einmal auch noch eine Pacht bezahlen. Aber das Finanzielle interessierte mich plötzlich nicht mehr so sehr. Ich hatte dann ja diese Oase.“ Eine Oase, die auch zum Ort ihrer Kunst geworden ist. Erst recht, wenn sie sich für diese ihre Kunst immer noch rechtfertigen muss.

Empört zeigt sie sich, wenn Großeltern bei ihr anrufen und fragen, ob sie auch anspruchsvolle Kurse anbiete. „Wenn ich ein Haus baue, weiß jeder: Das ist jetzt da, ich habe was gemacht. Wenn ich aber Kunst mache, muss ich mich immer rechtfertigen. Kunst muss immer was bringen“, sagt sie. Heike Isenmann umgibt sich gerne mit Kunst, mit Kreativität, auch mit der ihrer Schüler. Ihr lichtdurchflutetes Atelier ist Teil ihrer Parterre-Wohnung – und manchmal wird ihr ganzes Wohnzimmer in Beschlag genommen. Jeder kann bei ihr eine Ecke finden, in der er sich allein oder mit anderen gestalterisch ausleben kann. Im Keller steht zwischen Stapeln von gerahmten Bildern und einer Wäschespinne die hellblaue, gusseiserne Druckpresse, die die Kursteilnehmer immer wieder fasziniert. „Das ist das Geschenk an dieser Wohnung, dass ich den Keller nutzen kann.“

Vor einiger Zeit schrieb Heike Isenmann eine Anfrage an Angela Merkel, Katharina Witt, Jette Joop und andere Frauen – an die „Fürstinnen unserer Zeit“, wie sie sagt. Heike Isenmann wollte sie porträtieren. Und dafür bezahlt werden. Sie wollte der Kunst, die noch immer so oft als brotlos gilt, mehr als nur einen ideellen Wert geben. „Wissen Sie denn nicht, dass die Fotografen dafür bezahlen, mich zu porträtieren?“, lautete die Antwort einer Sportlerin. Kein einziges Foto kam zustande. Niemand hatte Interesse. „Als Künstler lernt man, sich das zu verzeihen“, sagt Heike Isenmann an diesem Herbstnachmittag. „Scheitern gehört zum Leben, in der Kunst kann man neue Brücken finden.“ Dabei lässt sie den Blick über ihren Garten schweifen.

Am Montag, dem 12. November, um 17.30 Uhr, wird im Kunstgriff.23, Carl-von-Ossietzky-Straße 23, eine Ausstellung mit selbst kreierten Postkarten eröffnet. Über 80 Einsendungen werden zu sehen sein.

Linda Huke

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