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Kultur: Im Schauspielzoo überfüttert

Uraufführung von Steinbachs Volksstück „Goebbels und Geduldig“ am HOT

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Uraufführung von Steinbachs Volksstück „Goebbels und Geduldig“ am HOT Von Ulf Brandstädter Konjunktur haben sie eigentlich immer die Blicke hinter die Kulissen des Dritten Reiches. Ob aus plattem Voyeurismus, wissenschaftlichem Interesse oder der Sehnsucht des Menschen, mit dem Unfassbaren fertig zu werden – wie Hitler und seine Mannen im Innersten beschaffen waren, interessiert die Menschen. Und natürlich erst recht, wenn dieser Stoff als erste deutsche Komödie über die Nazizeit auf die Bühne kommt. Der Autor Peter Steinbach hat seinen gleichnamigen und vor zwei Jahren ausgestrahlten Fernsehfilm noch einmal überarbeitet und nun in Potsdam als Schauspiel ans Licht der Welt bringen lassen. Darin probiert das „Kabarett der Doppelgänger“ ein Stück über Hitler, Göring, Hess und Goebbels. Für die perfekte Täuschung kommt die ganze Truppe ins KZ. Hier benutzt Himmler den Theatergag für seine intriganten Politschweinereien. Er hält sich das Goebbels-Double mit Weißbrot, Räucherfisch, Schinken und Spargel am Doppelgängerleben. Für den Fall der Fälle So einfach und doch spielträchtig allein dieser Einfall wäre, so verwirrend unübersichtlich ist es, was der Autor der Geschichte noch alles aufbürdet. Eine raumgreifend große Liebe, endlos überbordende Sachkenntnisse von historischen Details und angestrengte Fantasieszenarien von Spielrunden im Spiel bedrängen einander so arg, dass Dialog und Handlung zu ersticken drohen. Der rote Faden des Geschehens wird mit Nummern mäßiger Kabarettqualität zugeschüttet und muss sich laufend gegen die quälend ausgereizte Verwechslungsdramaturgie behaupten. Dass der Abend trotzdem nur langweilig und kein Flop geworden ist, liegt in der ersten Wahrnehmung am komödiantischen Spürsinn der Schauspieler für Gefahr und dem auf faszinierende Weise mitspielenden Bühnenbild Sabine Pommerenings. Ein großer Salon in reichstypischer Architektur mit Heimatkolorit und blauwolkigem Fernblick über den Bergsee gibt elegant und unmerklich vier Spielebenen frei. Herbert Olschoks Regie bündelt auf ihnen auch immer wieder mal groteske Momente, die ich mir öfter und vor allem härter und frecher gewünscht hätte. Das armauskugelnde und langsam erschlaffende „Heil Hitler“ im Begrüßungszeremoniell auf dem Obersalzberg, das Ostereieraufschlagen des Führers als verbindlicher Gesellschaftskanon oder die perfide Treibjagd Himmlers auf den Fotografen mit der Kopf-ab-Geste – die Inszenierung stößt kleine Türen auf, die vom Psychorealismus wegführen, dann aber immer wieder ganz schnell zu fallen. Das Tor zur eiskalten, spitzen Höhe des Bösen und Makabren bleibt verschlossen. Am konsequentesten dort angeklopft hat Ursula-Rosamaria Gottert als Eva Braun. In einer ausgesucht knappen aber typisch zubemessenen Bewegungs- und Sprachausformung entwirft die Schauspielerin ein altbackenes Fraumädchen von tragikomischer Anmutung, das als Lebensform nicht nur in Berchtesgaden gefährlich sein kann. Philipp Mauritz als der Jude Harry, der Goebbels spielt, hat seine stärksten Momente in der Melancholie, im Wissen darum, was die ganze Todesoperette kosten wird. In den Goebbelspassagen erinnerte er manchmal eher an Herrn Speijbels Sohn Hurvinek aus Prag denn an den scharfen Hund vom Schwanenwerder. Theater und Risiko gehören zusammen. Sie finden sich leider nur noch viel zu selten. Dass diesmal der emotionale Schocker ausblieb, lag nicht am respektlosen sondern am respektvollen Umgang mit einem Tabu.

Ulf Brandstädter

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