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Kultur: Im Teufelskreis

Lesung bei Wist über Kinderarmut in Deutschland

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Vanessa hasst die Ferien. Ihre Freundinnen schwirren irgendwo in der Welt umher, doch sie kickt nur wütend mit einem Stein auf leerer Straße. Das Frühstück ist auch mal wieder ausgefallen und mit knurrendem Magen wartet sie auf den warmen Mittagstisch im Kirchen-„Boot“, ihrer einzigen verlässlichen Anlaufstelle. Das zehnjährige Mädchen fühlt sich wie so oft allein und ist doch für die kleinere Schwester und auch für die Mutter, die immer wieder abstürzt und ihre Sorgen im Alkohol ertränkt, die wichtigste Stütze. Eine Verantwortung, die zu groß ist für ein so kleines Mädchen, das selbst die Pein der Armut nur schwer erträgt. Die sich schämt, mit abgetragenen Sachen in die Schule zu gehen, um Unterstützung für Schulmaterialien zu bitten und zu Hause meist nur in einen leeren Kühlschrank schaut.

Vanessa ist eines von drei Millionen Kindern in Deutschland, denen es ähnlich geht und für die die Autorin Maria von Welser in ihrem Buch „Leben ein Teufelskreis“ engagiert eine Lanze bricht. Sie begleitete ein Jahr lang Vanessa, Melanie und Kevin und spürte die vielen Hürden auf, die eine normale Teilhabe am Alltag erschweren und oft übersehen werden. Denn wer redet schon gern darüber, wenn er nicht mithalten kann. Und so bedeutet Armut oft Vereinsamung. Auf nachvollziehbare Weise schildert Maria von Welser, die heute um 20 Uhr im Literaturladen Wist zu Gast ist, das Leben am Abgrund, in den manche auch hineinstürzen. Wie Bianca. Nur sieben Jahre ist sie geworden. Sie vegetierte in einem Verschlag ohne Tageslicht und magerte ab bis zum Skelett. Bei der Obduktion fanden Ärzte Haare in ihrem Darm, die sie sich wohl immer wieder ausgerissen und gegessen hat. Die Eltern investierten ihre „Stütze“ lieber in Kneipen. Der Gemeindepastor Ruge, der auch das „Boot“ in dem Stadtteil betreut, in dem Sucht, Vernachlässigung, Kriminalität und Missbrauch zum Alltag gehören, kannte die Eltern. Doch auch er wusste nichts von Bianca, bis er sie beerdigen musste.

Das Buch der Fernsehjournalistin schlägt einfühlsam und prägnant den Bogen vom Schicksal der Betroffenen zu konkreten Lösungsvorschlägen. H. Jäger

H. Jäger

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