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Kultur: Im Überfrühling der Künste

Gabriele Blum und Uve Teschner lasen Erich Kästner im Garten der Familie Schulz-Fieguth

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Schön, dass die Urania bei ihren Gartenlesungen nicht immer nur auf die Unterhaltung ihrer Fangemeinde setzt. Am Wochenende, bei teils recht stürmischem Himmel, lasen Gabriele Blum und Uve Teschner auf dem Anwesen der Familie Schulz-Fieguth aus dem Nachkriegswerk von Erich Kästner. Dem begnadeten Autor ging es in den Wirren dieser Tage angeblich und zuerst um „den täglichen Kram“: Schreiben für Zeitungen und Zeitschriften, Aufbau des Kabaretts „Die Schaubude“, Freunde suchen und Freunde wiederfinden und der alten Mutter im ausgebombten Dresden gedenken. Kurzum, da der Tod jetzt „den Stahlhelm abgenommen“, wollte er die vergangene Zeit seiner Immigration verstehen und für sich aufarbeiten. Da war der Blick in den ruhlosen Himmel gar nicht so schlecht. Sogar der unermüdlich singende Kanarienvogel nebenan passte in diesen Ablauf.

Alles in Trümmern zu Kriegsende, da hält man sich an die Lebenden, an die Nächsten. Erich Kästners Nahestes war seine Mutter, die er mehrmals und äußerst liebevoll beschreibt, als Erinnerung an seinen 46. Geburtstag mit ihr, oder als sie ihm Wäsche von Dresden herbringen will, indes ihm die Engländer gerade die Wohnung gekündigt hatten, eine nette Umschreibung für den Bombenvolltreffer seines Zuhauses. Kästner gibt sich unverdrossen. Nicht aber dort, wo er von den Gräueln der Nazis in den KZ erfährt, oder wenn sie den Hinterbliebenen die Exekution eines Angehörigen auch noch in Rechnung stellten. Wer die mehr als 500 Reichsmark nicht binnen einer Woche zahlte, wurde gepfändet. Den unmittelbaren Nachkriegsalltag zwischen 1945 und 1948 erlebte der Autor als „Überfrühling der Künste“. Alles, was irgendwie überlebte und in die neue Zeit passte, trat wieder hervor, Kästner selbst wurde in München bald Feuilletonchef der „Neuen Zeitung“.

Kästner konnte gut und sehr effektvoll dichten und schreiben. Zum Beispiel in dem vertonten Gedicht „Oh Tod, sei gut“, in dem eine Mutter einfach nicht wahrhaben will, dass ihr Sohn an der Front gefallen ist. Uve Teschner sang es zur Begleitgitarre von Dirk Wilhelm sehr, sehr verhalten. Gut eigentlich, dass man Krieg – „im Stundenglas brennt Sand“ – und Nachkrieg dergestalt aus dem Vergessen nimmt, man weiß ja nie, was da kommt. So staunt man angesichts der vielen Auseinandersetzungen bis in die heutigen Tage hinein, wie Kästner über den ewigen Frieden sinniert, und dass man angesichts „20 Millionen vernichteter Gegner“ sich auch erinnern solle, „wie viele Deutsche dabei umgebracht wurden“. Oft aber war in solchen Texten und Erinnerungen ein satirischer Zungenschlag dabei, der Mann hatte ja Kabaretterfahrung.

Es war ja auch einfach nur komisch, wenn bei der „allgemeinen Entwaffnung“ 1947 nicht bloß Schießprügel und Pistolen abgegeben wurden, sondern auch Geschütze, Panzer und gar ein Torpedo. So etwas ist, ganz im Ernst, des Bewahrens würdig. Zuletzt hörte man ein wunderbares Märchen von einem, der drei Wünsche frei hatte und zwei davon verbraucht, um den Wunschgeber aus der Verwünschung zu holen. Ein wenig Gitarrenbegleitung gab es bei dieser pausenlosen Lesung, zuletzt ein sentimentales Lied vom Baum, der 300 wird. Schön also, diese Kästner-Reminiszenz an der riesigen Rotbuche mit Blick auf den möwenbesetzten Heiligen See. Hortensien und Rhododendron seitwärts. Auf den Heimweg mit dem Gedanken: Man sollte mal wieder den Kästner lesen. Gerold Paul

Gerold Paul

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