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Kultur: Im Untergrund

Mit den „Papierpiloten“ fing es an, mittlerweile gibt es mehrere Lesebühnen in Potsdam

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Wenn man die Potsdamer Lesebühnen verstehen will, muss man sich zwangsläufig etwas wundern. Denn was die Resonanz des literarischen Schaffens angeht, gibt es anscheinend recht deutliche Unterschiede. Brechend voll im Spartacus, nur eine Hand voll Gäste im Nil-Klub – und das trotz gleicher Qualität beider Lesebühnen. Am Freitag fand die Lesebühne „Texte im Untergrund“ im Nil-Klub am Neuen Palais statt. Das mag vielleicht etwas außerhalb sein, allerdings sind die „Texte im Untergrund“ auch keine neue Erfindung und finden schon in aller Regelmäßigkeit seit nunmehr sieben Jahren statt – und das meist einmal im Monat. Da kann man ja nicht mehr von einem unbeachteten Nischenprodukt sprechen.

Dennoch war die Resonanz am vergangenen Freitag eher mau. Vielleicht ein Dutzend Besucher fand sich in dem kühlen Gewölbe ein, das mit Sofas und Tischchen zu einem bequemen Wohnzimmer umdekoriert wurde. Andreas Kampa war als Gastleser da, ein Mitglied der Berliner Lesebühne „Chaussee der Enthusiasten“, und natürlich das übliche Trio Jobst, Konrad Endler und Mira Jones an der Musicbox. Und es wurde am Ende genau das, was einen rundum gelungenen Lesebühnen-Abend ausmacht: witzige Texte, ein gut aufgelegtes Show-Quartett, gute Musik, ein Kneipen-Quiz. Selbst Jobsts misslungener Versuch, einen bunt angemalten Papier-Adler durch den Nil fliegen zu lassen, dem er nur „Olle Krähe!“ hinterherrief, war ein quietschvergnügter Auftakt.

Dann kam Konrad Endler, der über Rentner und Trockenfisch am Strandabschnitt Drei schwadronierte, die sich über Granatapfeleis echauffierten. Mira Jones ließ jazzig-entspannte Musik in die Zeiträume fließen, in denen die Literaten beherzt zu den Schnittchen auf dem Tisch griffen. Andreas Kampa fast schon anachronistisch mit Texten, die er direkt vom iPad liest statt von Papier – über Ventilatoren und Anrufbeantworter, die er ins Absurde schaukelte: „Wieder einmal hat der Mensch kraft seines Geistes über ein Möbelstück gesiegt.“ Dann wieder Jobst, der galaktische Gäste im Whirlpool versammelt auf der Suche nach der Definition des Begriffes „Trainee“. Und Konrad Endler wieder, der sich als Spezialist für Onanie in der Schwerelosigkeit beim DDR-Bildungssystem bedankt. Dann gibt es noch ein Quiz mit schweren und nicht ganz so schweren Fragen, bei dem es reichlich Nippes zu gewinnen gibt, Endler singt über den Wellensittich Putzi, Jones spielt Jamiroquai – ja, alles in allem ein gelungener Abend.

Nur hätte man den viel lieber mit noch mehr Besuchern geteilt. Klar wisse er, dass da irgendwas schiefläuft, sagt Jobst. Man habe sich auch entschieden, die August-Lesung ausfallen zu lassen und ab September ein neues Konzept auszuprobieren. Aber das war nicht immer so: Von 2004 bis 2007 gab es im Waschhaus die Lesebühne „Papierpiloten“: „Das Waschhaus war eine Adresse“, sagt Jobst. „Das war ein Ort, nur nicht so schick, aber was für eine Instanz! Jeden Freitagabend war es da voll.“ Und einige der Gäste von damals sind heute hochgefragte Literaten: Volker Strübing etwa, Ahne, Ulli Hannemann. 2007 verließ Konrad Endler die „Papierpiloten“, nahm Mira Jones gleich mit – und landete im Nil-Klub, zuerst noch jeden Freitag, später dann nur noch einmal im Monat. Vielleicht liegt das abflauende Interesse aber auch am Nil-Klub selbst? Veranstalter Christian Bernhöft kommt da eher zu dem Schluss: „Wir haben es nicht geschafft, diese Generation zu mobilisieren.“

Aber ein literarisches Desinteresse in der Stadt zu attestieren – davon sind wir meilenweit entfernt. Der „Havelslam“ im Waschhaus? Zuverlässig voll. Die „PotShow“ im Spartacus? Wer keinen Sitzplatz mehr ergattert, wenn Marc-Uwe Kling ans Mikrofon tritt, der steht eben. Aber Slams, bei denen mit Texten um die Gunst des Publikums geworben wird, lehnt Jobst von vornherein ab: „Du gibst den Leuten Macht in die Hand. Nur das ist der Reiz.“ Und Literatur habe eben eine Eigendynamik: Mal seien neue Texte einfach nicht ausgereift, außerdem binde man ja mit seinem Stil das Publikum. Irgendwie ist so etwas überraschender.

Auch wenn es nicht mehr so gut läuft, für Veranstalter Bernhöft ist Aufgeben keine Alternative. Nein, da denke er gar nicht drüber nach. Nebenbei macht er noch das „Kellerkino“, jeden Montag einen Meilenstein der Filmkultur, da kommen schon mal 100 Leute, wenn er etwa „The Big Lebowski“ zeigt. Und einmal im Monat eine Lesebühne, das geht auch. Jobst ist da schon etwas kritischer: „Ich würde den Nil nie verraten wollen. Aber wenn sich die Gelegenheit ergäbe“ Aber vielleicht wird es doch noch, so wie damals, im Waschhaus, als die „Papierpiloten“ noch flogen. Oliver Dietrich

„Texte im Untergund“ mit Jobst, Konrad Endler und Mira Jones am Freitag, dem 25. Juli, um 20 Uhr im „KuZe“, Hermann-Elflein-Straße 10. Die nächste Lesung im Nil-Klub, Am Neuen Palais 10, findet am Freitag, dem 19. September, um 20.30 Uhr statt. Zu Gast ist Ahne

Oliver Dietrich

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