Kultur: Im Wortrausch
Arditti Quartett und Saul Williams im Nikolaisaal
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Die moderne Musik hat es nicht leicht. Zumindest dann, wenn sie sich nicht in den schillernden Gewässern der Pop- und der Filmmusik bewegt. Denn wenn aus Geige, Bratsche und Cello nur noch seltsam abgehackte Geräusche dringen, die nach Kratzen, Wimmern oder Sägen klingen, finden sich meist nur wenig Zuhörer ein. So erging es auch dem Arditti Quartett, das am Wochenende mit dem Rapper Saul Williams im Nikolaisaal aufwartete. So musste das Konzert aus dem großen Saal ins Foyer verlegt werden, zog aber immer noch rund 250 Zuhörer an.
Der aufregende Parforceritt durch die „ernste Musik“ der letzten vier Jahrzehnte begann mit zwei Werken des 1953 geborenen Amerikaners John Zorn. Eher harmlos wirkt sein „Kol Nidre“, filigran zerlegte Variationen um das jüdische Gebet am Versöhnungstag, dessen archaische Melodie schon eine ganze Reihe von Komponisten inspirierte. Beim Arditti Quartett schimmert die elegische Melodie in den Mittelstimmen immer wieder auf, während erste Violine und Cello gleichbleibend monoton in extrem hoher und tiefer Lage einen weiten Rahmen dazu bilden – wie ein fester Halt, selbst dann, wenn der Inhalt wie hier nur noch in Bruchstücken erscheint.
Von der Lust an Provokation und Punk erzählt Zorns Streichquartett „The Dead Man“. Ob es dabei wirklich um die akustische Version von kurzen S/M-Szenen geht, wie im insgesamt nicht sehr erhellenden Text des Programmhefts zu lesen war, oder um andere Ideen, ist nicht entscheidend. Die Musik will nicht mit Worten, sondern mit Tönen überzeugen. Hier klangen sie nach entfesselter Zersetzung von Themen und Formen aus der Welt der klassischen Musik, ein hemmungsloses Gemetzel aus schauerlichen Geräuschen, präzise und trennscharf von den vier Arditti-Musikern artikuliert.
Geradezu nostalgisch wirken dagegen „Renga“ und „Apartment House 1776“ von John Cage, aus Anlass der 200-Jahr-Feier der USA komponiert. Das musikalische Material repräsentiert den nordamerikanischen Melting Pot. Wie in einem Kaleidoskop erscheinen Facetten aus Songs, Chorälen und Psalmen der vier amerikanischen Religionen. Zu hören waren keine bloßen Geräusche mit intellektuellem Hintergrund, sondern milde Saitenklänge, man konnte gar „schön“ dazu sagen, die von den Ardittis behutsam arrangiert wurden. Die zwei Auftritte vom Meister der Slam-Poetry Saul Williams versetzten das Foyer in die Bronx von New York City. Der Hip-Hopper deklamierte a capella einen energetischen Wortschwall. Manches blieb hängen, Zitate und Persiflagen, anderes verborgen im Dunkel der versteckten Bedeutungen der afroamerikanischen Lingua franca.
Zum Finale gab es eine Apotheose der Slam Poetry aus Williams Rap-Epos „NGW WHT“ für Sprecher und Streichquartett mit dem Soundtrack des anwesenden Schweizer Komponisten Thomas Kessler. Saul Williams rappte aus seinem Opus magnum „The dead emcee scrolls“ mit einer Vielzahl von Rhythmen, peitschend und jagend. Worte wurden zu Percussioninstrumenten, gingen mit den rasenden Klangfetzen des Streichquartetts eine rauschhafte Symbiose ein. Manch Zuhörer hielt es da kaum noch auf dem Sitz. Prasselnder Applaus für diese ungewöhnliche Performance. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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