Kultur: Immer feste drauf und kräftig lachen
Premiere des neuen Programms „Viele Fragen, keine Köpfe“ im Kabarett Obelisk
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Premiere des neuen Programms „Viele Fragen, keine Köpfe“ im Kabarett Obelisk Von Götz J. Pfeiffer Ratlosigkeit. Abgrundtiefe Ratlosigkeit sollte herrschen in den Manager- und Macht-Etagen unseres Landes. Allerdings – dort scheint man dies noch nicht bemerkt zu haben. Und wahrscheinlich saß auch noch niemand der hohen Damen und Herren im neuesten Kabarett-Programm des Obelisk. Dies feierte nach einer Woche der Voraufführungen am Wochenende seine Premiere. Aber nähme die eine oder der eine aus den hohen Lenker- und Denker-Etagen der Republik in der Charlottenstraße einen der vergleichsweise preiswerten Plätze ein, würde ihm dieser zum heißen Stuhl. Sie oder er bekäme von Gretel Schulze und Andreas Zieger kursierende bittere Allgemeinplätze und in Worte gefasste brodelnde Befindlichkeiten um die offenbar tauben Ohren gehauen, dass ihr und ihm das Sehen gleich mit verginge. Denn das ist das wirkliche Problem im deutschen Staat – und zugleich Titel des Programms: „Viele Fragen, keine Köpfe“. Dass die altgedienten Kabarettisten auf dieselben mit ihren witzelnden Hämmerchen immer wieder trafen, dabei dem Bürger aus der Seele sprachen, bewies am Premierenwochende die fast karnevalesk-rheinische Fröhlichkeit im Publikum. Vielleicht können Probleme mit kräftigem Lachen vertrieben, gewiss sollten Sorgen von Zeit zu Zeit bei dieser stoßweisen Ventilation der Lungen mit ausgepustet werden. Bitterernste reale Anlässe gibt es bei Staatsüberschuldung, Sparzwang, Sozialabbau und allgemeinem Bürgerunmut mehr als genug. Zuvor aber müssen diese düster die Stimmung belastenden Schatten mit spitzen Bemerkungen und treffenden Pointen aufgespießt werden. Dafür hatte das miteinander gut harmonierende Duo Schulze/Zieger das rechte Rezept, meist passend wie die Faust aufs Auge. In so gewohnter wie bewährter Manier hangelten sich beide durch ein locker gestricktes Programm aus Text- und Song-Nummern, teilten sie kurze Hiebe auf das „rollende Ekel“ Wolfgang Schäuble, den einzig zum Papst prädestinierten „Manfred Paul I.“ Stolpe und auch den Kanzler aus. Letzterer stelle keine Fragen, sondern Antworten. Willkommen in der Republik Absurdistan. Was auf der Bühne folgte, war aber eher ein kabarettistisches Waffenklirren als der versprochene „Großangriff gegen die politische Führungskaste“. Aber es gefiel, keine Frage beim Blick über das amüsierte und jede Nummer beklatschende Publikum im fast ausverkauften Saal. Doch kann nicht jeder eigentlich immer in den Refrain einstimmen: „Es ist überhaupt so manches nicht in Ordnung“? Ein politisches Fazit: Demokratie ist, wenn man trotzdem wählt. Schade, dass die flink gezeichnete Szenerie des – lange abgerissenen – Berliner Sportpalastes mit dem „Genossen Hans Eichel“ am Rednerpult, der die schnell begeisterte und „geil, geil“ zurückschreiende Menge aufpeitscht: „Wollt ihr die totale Kopfsteuer“, schade, dass diese Skizze nicht zu einem opulenten „Schinken“ ausgemalt wurde. Das wäre ein wahres Schlachten gewesen. Hier wie andernorts steckte der kabarettistische Humor wie eine den sicheren Pointen-Honig sammelnde Biene den Rüssel lieber schnell in die nächste bekannte Spöttelei, wagte nicht die ungewohnten Hummelflüge. Kurzweilig ist dies gewiss, für die Mehrheit sogar witzig und belachenswert. Aber sollte man dem Publikum nicht auch einmal mit etwas anderem als dem schnell servierten Comedy-Humor das pralle Bäuchlein streicheln? Verträgt, ja verlangt man es nicht auch freundschaftlich in die Seite geknufft und zum Nachdenken angeregt zu werden? Dazu das Potenzial zu haben, bewiesen Schulze und Zieger mit der breit ausgeführten Szene eines Berliner „Mega-Revolutions-Event“ im Loveparade-Design, wo man „Deutschland im Klassenkampfrausch“ sah. Aber was bedeutet die Verspaßgesellschaftung und Entwertung aller Ideen und Werte? Was bleibt, wenn die „Thälmann-Kolonne der Jungen Union“ über den Ku“damm zieht? Doch wohl mehr als Matthias Platzeck im Thomas Müntzer-Kostüm, der brandenburgische Bauernhorden mit Morgenstern-Reimen auf den Reichstag zuführt. Berechtigt am Ende: „Wir haben jetzt viele Fragen besungen“, gefolgt von der optimistischen Zugabe: „Gutes tun, ist gar nicht schwer“. Also dann. Demnächst im Kabarett.
Götz J. Pfeiffer
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