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Kultur: Immer grinsen

Walter Plathe gastierte mit Otto-Reutter-Programm

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Es war ein Mann aus Gardelegen, der hatte einen Sohn namens Otto. Dieser sollte ein Kaufmann werden wie er. Doch daraus wurde nichts. Er ging zur Bühne, wo er zum berühmten Künstler reifte. Viel später war ein anderer in Berlin. Auch dessen Sohn sollte das kaufmännische Werk des Vaters fortsetzen, doch auch er suchte nach den weltbedeutenden Brettern und wurde „der nicht ganz erfolglose Schauspieler Walter Plathe“. So ungefähr steht es im Beiheft zu seinem nicht mehr ganz frischen Otto-Reutter-Programm: am Sonntag im ausverkauften Neuen Theater präsentiert. Achtzig Jahre liegen zwischen der Geburt des einen und des anderen, beide verbindet Berlin und der Hang, die Leut mit Humor zu unterhalten.

Walter Plathe suchte in einem so wort- wie sangesreichen Vortrag nur rhetorisch nach dem Erfolgsrezept seines Vorbilds, er kannte es längst: „Singe nichts Gemütvolles und auch nichts Geistreiches. Das liebt man nicht. Gehe auch dem echten Humor möglichst aus dem Wege und halte es mit der platten Komik. Die Leute wollen lachen nicht lächeln“ – wozu auch gehört, sie im Glauben zu lassen, klüger als der auf der Bühne zu sein. Er schmeichelt ihnen: „Alles wegn de Leut!“ – und grinst dann noch so seltsam dazu.

Walter Plathe hat sich diese Lektion von Otto Reutter (1870-1931) zu Herzen genommen. Zusammen mit Peter Buchheim am Flügel lieferte er einen brillanten Unterhaltungsabend ab. Zwölf der insgesamt tausend Couplets von Reutter trug er dem von Anfang an begeisterten Publikum vor, die Parkplatzsorgen waren vergessen. Schon der Introitus mit Böllern und mit Pfeifen, das erste Erfolgsjahr (1900) des Anhaltiners im Berliner Wintergarten anzeigend, galt natürlich dem Lebenden. Neben seiner Haupttugend als begnadeter Entertainer kann er auch gut singen und sein Publikum ganz nach Belieben bannen, wovon er nicht nur bei „Nehm sen Alten“ reichlich Gebrauch machte. Herausfordernd geht er ins Parkett, fischt sich ein „Opfer“, spricht die Leute an, streckt ihnen auch mal die Zunge heraus. Das dürfte ihn von Reutters Taktik der etwas gammeligen Unschuld unterscheiden. Er war also nicht einfach nur „vorn“, er war es auch offensiv, was seinen (im „Landarzt“ selten ausgespielten) Qualitäten als Schauspieler entgegenkam. „Alles wegn de Leut''", sang und mimte der „Optimiste“, bevor er die Sache mit dem „Überzieher“ löblichst darstellte. Bei „Wie reizend sind die Frauen“ traute er sich nicht, den Reutterschen Ansatz auszureizen. „Na, na!“ mahnten weibliche Publikumsstimmen. Schade, er bremste ab.

Das Programm ist öfter in dieser Gegend. Man sah es früher mal in achtzehn Teilen. Diese Fassung hier war besser, stringenter. Allerdings störte auch diesmal die große Zahl von Unterbrechungen durch Plauderei oder Kommentare, nur wenige Titel wurden durchgesungen. „Villa Neureich“ als „Couplet zum Tage“ schien vor diesem Publikum viel zu brav zelebriert, man hätte ihm mehr Stärke verziehen. Auch „Kinder, Kinder“ verdiente mehr Pfeffer, aber der Altmeister riet ja vom „Tiefsinn“ ab, vielleicht weil man seine Sachen so oder so vortragen kann. Kurz, der Künstler gab den harmlosen Teil dieser Lyrik – der Gesellschaft allein zum Vergnügen. Ist ja eigentlich auch schnurz, denn „In 50 Jahren“ ist alles vorbei“, bis dahin heißt es „Ihr müsst immer grinsen“. Dem folgte man, Reutter zuliebe. Seine letzten Worte vom 3. März 1931 sind überliefert: „Das Varieté lebt weiter, aber hier stirbt Otto Reutter". So ist es wohl. Gerold Paul

Gerold Paul

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