Kultur: Immer wilder
Balkanmusik mit Fanfare Ciocarlia im Waschhaus
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Manchmal bekommen Redewendungen eine ganz neue Bedeutung. Wenn beispielsweise Musiker auf die Tuben drücken, hat das nicht immer etwas mit Geschwindigkeit zu tun. Zumindest nicht sofort. Die fulminante Gypsyband Fanfare Ciocarlia, vor 16 Jahren von dem deutschen Toningenieur Henry Ernst im eher unbekannten rumänischen Zece Prajini entdeckt und auf Europas Bühnen gebracht, ließ es erst einmal langsam angehen am Mittwochabend in der viel zu leeren Arena des Potsdamer Waschhaus.
Vier Männer in langen schwarzen Mänteln und mit Hut oder winterlicher Fellkappe hatten sich ihre gewaltigen Instrumente umgeschnallt und verbreiteten schwermütigste Melancholie. Erst ihre acht Bandkollegen mit Trompeten, Saxophon, Pauke und Minischlagzeug, die nach und nach die Bühne füllten, gaben dem Abend nicht nur klanglich eine andere Farbe. In roten Hemden und mit rasender Geschwindigkeit verbreiteten die Musiker den musikalischen Wahnsinn, der ein Markenzeichen der angesagten Balkanmusik ist.
Trillernd, pfeifend, fingerschnippend, mit einem „Hey, hey, hey“ die eigene Band und die Tanzenden vor der Bühne anstachelnd, wurde es zusehends immer wärmer im Saal und auf der Bühne kreisten bald weiße Handtücher, die gegen den Schweiß helfen sollten. Die Finger tanzten derweil mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf den Knöpfen der Instrumente und immer, wenn eigentlich keine Steigerung mehr hätte möglich sein können, wurde es noch ein wenig wilder und immer noch ein wenig schneller.
Das Publikum ließ darum auch kurzerhand alle Hemmungen fallen, klatschte, tanzte, hüpfte wild und aufgekratzt und freute sich über zwei volle Stunden Partymusik , die zwischenzeitlich auch an anatolische oder russische Familienfeiern erinnerte, auf denen in Reihe getanzt und sich weich in den Hüften gewiegt wird. Ein wenig getrübt wurde die Stimmung vielleicht bei jenen, denen auffiel, dass einige der Bandmitglieder etwas freudlos bei der Sache waren. Aber wer den Tourplan der Band studiert, der eng kalkuliert ist und bis in den September reicht, ahnte die Anstrengung, die dies für die teilweise schon betagteren Musiker bedeuten muss, die heute hier und morgen dort immer wieder die Stimmung anheizen sollen. Umso erstaunlicher darum auch die Ausdauer und die Selbstverständlichkeit, mit der Fanfare Ciocarlia schließlich von der Bühne direkt ins Publikum zogen, um unverstärkt und pur noch ein wenig weiter zu spielen, bevor das Konzert zu arbeitnehmerfreundlicher Zeit ausklang. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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