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Kultur: Immergrün

Weihnachtsjazz mit Jenny Evans im Nikolaisaal

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Er ist noch immer das beste Mittel gegen eine Überdosis Besinnlichkeit: Der Swing. Dieser federnde Schritt, die Was-kostet-die-Welt-Attitüde und sein Hang zur Selbstironie. Wer also zur Weihnachtszeit etwas Abwechslung braucht von Glückseligkeit unter“m Christbaum und familiären Belagerungszuständen, für den war der traditionelle Weihnachtsjazz am ersten Weihnachtsfeiertag im Nikolaisaal immer die richtige Adresse. Die Jahre zuvor im Foyer, ging es dieses Mal in den Saal. Jenny Evans und das Rudi Martini Quartett waren angekündigt, weit über die Hälfte der Plätze besetzt. Doch dem Totalverweigerer weihnachtlicher Feierlichkeiten war das Programm nicht gewidmet, versprach es doch „A Swinging Evening full of Christmas Spirit“.

Den Bühnenboden zierte eine der bekannten Lichterketten, die auf keinem Weihnachtsmarkt oder bei ambitionierten Dekorationsversuchen fehlen darf. Dazwischen ein kleiner Jahresrückblick der Nikolaibelegschaft in Sachen Programmdekoration: Fünf der kleinen, roten Tischlampen, die schon im Sommer, während der Musikfestspiele, bei „Jazz in the garden“ über den Rasen im Neuen Garten verteilt waren. Beim Straßenfest zur Saisoneröffnung standen sie verstreut am Kanal. Nun vermittelten sie vage etwas von Weihnachtstimmung. Man war froh, keinen Weihnachtsbaum in einer der Bühnenecken zu sehen.

Zur Einstimmung das noch unvollständige Rudi Martini Quartett mit Walter Lang am Klavier, Sven Faller am Kontrabass und dem Namensgeber am Schlagzeug. Und da war er gleich, dieser immergrüne Swing mit seiner lässigen Frische. Ein rasant-verspieltes Klavier, der quirlige Bass und Rudi Martini, der mit pulsierendem Minimalismus sein Schlagzeug bearbeitete. Dann wurde der vierte im Bunde, Stefan Holstein an Saxophon und Klarinette, angekündigt. Einen kurzen Moment nur später Jenny Evans, als Christkind.

Zum Glück hatte sie auf jegliche Kostümierung verzichte. Jenny Evans, die seit 28 Jahren in Sachen Jazz unterwegs ist, trat auf die Bühne, grüßte kurz und freundlich das Publikum und sang. Weihnachtslieder. Nicht nur, aber vor allem. So Bekanntes wie das mit Reggae angehauchte „Mary“s Little Boy Child“ oder „The Christmas Song“ hatte Jenny Evans auf ihrem Programmzettel zu stehen. Ein wenig mulmig wurde einem da schon, weil zu befürchten war, dass hier ein Medley bekanntester Weihnachtsmelodien nur ein wenig mit Swing und Jazz aufgeheitert werden sollte. Doch dem war zum Glück nicht so. Gut, es gab Lieder, die allzu brav dargeboten wurden. So sang sie Kurt Weills „Mack The Knife“ mit einer Harmlosigkeit, als ginge es hier nur um einen Lausbuben, dessen Streiche allein darin bestehen, ältere Damen mit Knallfröschen zu erschrecken. Mit weniger bekannten Stücken wie das englische Weihnachtslied „The Coventry carol“ aus dem 16. Jahrhundert gelangen ihr dagegen ganz eigenwillige Momente von sprödem Charme. Hier verstand es Jenny Evans, feine Dialoge mit ihren Musikern zu spinnen. Apropos Musiker, für deren Soloeskapaden ließ Jenny Evans immer genug Raum, zog sich für manche Lieder gar von der Bühne zurück.

Da konnte man sie erleben, die Momente des blinden Verständnisses, wenn allein die Gemeinsamkeit der Musik die Richtung vorgibt. Neben Rudi Martinis wunderbar-dezentem Spiel war es vor allem Sven Fallers treibende Virtuosität auf dem Kontrabass, die diesem Abend sein ganz besondere Swingnote gab. Nach über zwei Stunden dann herzlicher Applaus für Jenny Evans und das Rudi Martini Quartett und einen Abend, der dann doch nicht ganz ohne Besinnlichkeit auskam.

Dirk Becker

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