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Von Lore Bardens: In Angstzuständen

Mehr als ein Experiment – Theaterjugendclub mit „Remind me“ in der Reithalle A

Stand:

Das ist ein Experiment, behauptet frech der Theaterjugendclub von „Remind me“, das am Samstag in der Reithalle A eine lang applaudierte Premiere hatte. Die letzte unter Uwe Eric Laufenberg. Zunächst schien es bei der Behauptung zu bleiben. Nur beim Einlass war es etwas merkwürdig, als die Zuschauer in „eindeutig A“ oder „klar B“ eingeteilt wurden, was zur Folge hatte, dass man auf der linken oder rechten Seite der Bühne sitzen und auf einem Fragebogen ankreuzen sollte, ob man eher müde oder eher entspannt, eher traurig oder eher wütend sei.

Das Publikum wiegte sich eine Stunde lang in der Illusion, dass es sich hier um ein Theaterstück handele, auch wenn dieses als „Performance“ bezeichnet wurde. Eine Art Zufallsgenerator entschied über den Szenenablauf. Das müssen sich die jungen Schauspieler, die unter der Leitung von Cornelia Rosenkranz und Enno Hartmann getextet, recherchiert und improvisiert haben, von ihrer Musikgewohnheit abgeguckt haben, da wird ja über die neuen elektronischen Medien auch durch die Random-Taste, also per Zufall festgelegt, welcher Song gerade gespielt wird.

Unter Trommelwirbel wurde ein sargähnliches Gebilde entdeckt, auf dem länglichen Kasten standen Klingelkästen mit den Szenennamen, gedrückt wurde der Klingeknopf der von dem unerkannt bleibenden Sprecher merwürdigerweise Buzzer genannt wurde. Nach der jeweiligen Ansage spielten sich die Schauspieler Antonia Panek, Anne Rehfeld, JuliaToni Reiche, Julia Schütze, Michael Enax, Soeren Garnatz und Rudolf Münder die Seele aus dem Leib, um sich die Angst zu vertreiben. Denn Angst war das Thema der Szenenfolgen.

Da standen zwei Angsthasen nachts an der S-Bahnstation und warteten darauf, dass sie überfallen und ausgeraubt oder vergewaltigt würden. Da machte sich die Angst im Körper breit. Sehr schön, wie schnell ein Körper bis zur Nebenniere nur per Klebeband auf den Bühnenboden entstand. Die Schauspieler agierten als Amygdala, Thalamus, Hypothalamus und Nebenniere, sie schütteten angesichts der Schlange, die von oben drohte, Cortison und Cortiso aus, dass das Hormon zum Spaß aller wie ein Wirbelwind durch die Körpergänge flitzte und Stress ohne Ende produzierte. Da gab es die Prüfungssituation, in der Paula, der Prüfling, sich die beiden strengen Prüfer als über sie lachend oder völlig uninteressiert vorstellte. Und es gab eine Szenenfolge, bei der die anfänglich freundlich-klassische Ballettgruppe von Technorhythmen erst irritiert, dann vollkommen zerstört wurde, bis am Ende das Bühnenlicht zuckte und die Katastrophe perfekt war.

Man lernte ganz nebenbei, dass Angst meist hausgemacht ist, dass Angst den Körper mit diffusen Symptomen traktieren kann – herrlich, wie sie alle sieben der Reihe nach Juckreiz und andere Wehwehchen präsentierten und sich in die Arme der Arzneimittelindustrie warfen, um sich nur kurzzeitig zu beruhigen, denn die Lektüre der Beipackzettel löste wieder allerhand neue Ängste aus.

Was da als Angstperformance die möglichen Stadien des Phänomens, das uns – vielleicht gerade wegen unseres so stark ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses – ja alle irgendwann irgendwie trifft, daherkam, entpuppte sich am Ende dann tatsächlich als Experiment mit dem Zuschauer. Um Erinnerung nämlich würde es gehen, behaupteten nun die Schauspieler, die sich flugs in Prüfer verwandelt hatten und dem Publikum neue Fragebögen gaben. Da zitterte dann so manch einer, weil zumindest der zweite Teil der Fragen so gestellt war, dass man erst mal eine Weile brauchte, um zu begreifen, worum es ging. Frech wurde abgefragt, woran man sich noch erinnern könne von dem, was rasend schnell an einem vorbeigerauscht war. Und statt der Erinnerung stellte sich dann die Versagensangst ein. Ein sehr gutes Experiment!

Die nächsten Vorstellungen am Freitag, 19. Juni, und Mittwoch, 1. Juli, jeweils 19.30 Uhr. Letztmalig am Freitag, 3. Juli, um 18 Uhr, Reithalle A, Schiffbauergasse

Lore Bardens

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