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„Strömendes Füllhorn heiteren und seelenschweren künstlerischen Genusses“. Dieter Mann hinter dem Grammophon in dem Solostück „Fülle des Wohllauts“ aus „Der Zauberberg“ von Thomas Mann.

© Iko Freese

Kultur: In der Fülle des Wohllauts

Dieter Mann mit seinem Solostück aus Thomas Manns „Der Zauberberg“ im Schlosstheater

Stand:

Die Schönheit zerspringt mit den letzten Worten. Landet im Dreck wie Hans Castorp selbst. Auf einem dieser Massenmordschlachtfelder der Westfront im Ersten Weltkrieg. Auch wenn Castorp dort, „das Spießgewehr in hängender Faust“, sich durch den Schlamm kämpft und, um den Schrecken und den Tod zu bannen, Franz Schuberts Vertonung des Volksliedes „Der Lindenbaum“ auf den Lippen hat, ist das nicht mehr Musik, ist das nicht mehr Schönheit. Es ist nur noch Grauen. Ein Abgesang.

Dieter Mann schießt diese Worte wie Projektile in die Stille des gut besuchten Schlosstheaters im Neuen Palais. Und es braucht Zeit, bis man sich von diesem Bruch erholt. Denn gut anderthalb Stunden lang hatte Dieter Mann zuvor die Schönheit der Musik beschworen, wie es Thomas Mann in seinem 1924 erschienenen Roman „Der Zauberberg“ tat. Mit Genuss hat Dieter Mann gesprochen und mit untrüglichem Gespür für die feine Ironie in Thomas Manns Werk. Und schon nach wenigen Worten war an diesem Sonntagabend im Schlosstheater klar, dass da einer spricht, der die Worte selbst zu Musik machen kann. Und dann dieses abrupte, so brutale Ende. Nicht unbekannt dem, der den „Zauberberg“ gelesen hat. Doch an diesem Abend traf es einen so überraschend, so heftig.

„Fülle des Wohllauts“ ist der knapp zweistündige Theaterabend mit Dieter Mann in der Regie von Marcus Mislin überschrieben, der als Gastspiel am Sonntag in Potsdam Premiere hatte. Betitelt nach dem Kapitel aus dem „Zauberberg“, in dem Thomas Mann so herrlich akribisch und so herrlich detailverliebt, so voller Ironie die wachsende Begeisterung von Hans Castorp in seinem selbst gewählten Exil im Sanatorium „Berghof“ in den Schweizer Alpen nahe Davos beschreibt, die bei ihm durch den Erwerb eines Grammophons hervorgerufen wird. Gleichzeitig aber kann diese Kapitelüberschrift auch losgelöst vom ursprünglichen Roman gelesen werden. Auf die Leistung von Dieter Mann bezogen, der hier in der Rolle des Erzählers sich nur auf minimalistische schauspielerische Mimik und Gestik beschränkt und allein den Worten von Thomas Mann mittels seiner Stimme die Bühne überlässt. Und wenn Dieter Mann so spricht, ist das wahrlich eine „Fülle des Wohllauts“.

„Diese Geschichte ist sehr lange her, sie ist sozusagen schon ganz mit historischem Edelrost überzogen und unbedingt in der Zeitform der tiefsten Vergangenheit vorzutragen“, heißt es im „Vorsatz“ zum eigentliche Geschehen im „Zauberberg“. Hans Castorp, 24 Jahre alt, Spross einer Hamburger Kaufmannsfamilie, reist, bevor er eine Stelle bei einer Schiffswerft antreten soll, „nach Davos-Platz im Graubündischen“. Drei Wochen waren für den Aufenthalt geplant. Denn Castorp „hatte nicht beabsichtigt, diese Reise sonderlich wichtig zu nehmen, sich innerlich auf sie einzulassen. Seine Meinung vielmehr war gewesen, sie rasch abzutun, weil sie abgetan werden mußte, ganz als derselbe zurückzukehren, als der er abgefahren war, und sein Leben genau dort wieder aufzunehmen, wo er es für einen Augenblick hatte liegen lassen müssen.“ Am Ende bleibt er sieben Jahre, bis ihn die kriegstreiberische Euphorie 1914 aus seinem Refugium direkt in das Gemetzel auf die Schlachtfelder treibt.

Das „Sehr lange her“ dieser Geschichte greift schon die Bühne von Elisabeth Pedross auf. Sie zeigt den „Hauptgesellschaftsraum“ im Lungensanatorium „Berghof“, ein grauer, karger Raum, der durch zwei überdimensionierte Säulen in den Ecken zu einer architektonischen Geschmacklosigkeit verkommt. Drei Stühle, zwei Sessel und besagtes Grammophon unter Leinentüchern. Dazu das stumpfe, abgelaufene Parkett der Schlosstheaterbühne. Hier, so der Eindruck, hat schon lange keiner mehr der knisternden Schallplattenmusik gelauscht.

Der 70-jährige Dieter Mann, von 1964 bis 2006 festes Mitglied im Ensemble und von 1984 bis 1991 Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, betritt diesen längst vergessenen Raum aus so fernen Tagen und erfüllt ihn mit dem Leben der vergangenen Zeit. Ein paar Zeilen vom Anfang und das brutale Ende vom „Zauberberg“, ansonsten nur die musikalische Begeisterung von Hans Castorp. Verdis „Aida“ und Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“, Bizets „Carmen“, Gounods „Faust“ und Franz Schuberts „Der Lindenbaum“ aus dem Zyklus „Die Winterreise“. „Hans Castorps Vorzugsplatten“, wie es bei Thomas Mann heißt, und die Castorp Nachtstunde um Nachtstunde in der Einsamkeit des Hauptgesellschaftsraums genießt. Wie Dieter Mann die Sprache von Thomas Mann zum Klingen bringt, wie er selbst zum Sprachverzauberer wird, das muss man einfach erlebt haben!

Wieder am Mittwoch, 28. Dezember, 19.30 Uhr und Samstag, 31. Dezember, 18 Uhr, im Schlosstheater im Neuen Palais. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 981 18

Dirk Becker

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