zum Hauptinhalt

Kultur: In der Hölle

Ellen Thiemann über das Frauengefängnis Hoheneck

Stand:

„Angst einflößender Gefängniskoloss, Gitter über Gitter, Endlosgänge, Metalltreppen. Diskriminierungen, Hunger und Verzweiflung. Massen von weiblichen Häftlingen unterschiedlichen Kalibers, degradiert zu Vogelscheuchen in ihrer schauerlichen Anstaltskluft. Brüllendes Personal, mit Schlagstöcken bewaffnet.“

Ellen Thiemann kann diese Bilder nicht vergessen. Fast zwei Jahre, von 1973 bis 1975, saß sie wegen geplanter Republikflucht im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck im sächsischen Stollberg, zusammengepfercht mit 41 Mitinsassinnen in einer Zelle oder zeitweise in Isolationshaft. Als „Staatsverbrecherin“ wurde sie dort täglich zu 16 Stunden Arbeitsdienst gezwungen, regelmäßig gefoltert sowie verhört und durch Schlafentzug, gewaltsam verabreichte Psychopharmaka und gezielte Schikanen gequält. In ihrem neuen Buch „Wo sind die Toten von Hoheneck?“ (Herbig Verlag, 19,99 Euro), das sie am Montagabend in Potsdam vorstellt, blickt sie nicht nur zurück auf diese finstere Zeit. Vielmehr stellt sie darin auch unbequeme Fragen, nennt sie ihre einstigen Peiniger beim Namen, enthüllt sie etliche Verbrechen des menschenverachtenden Justizapparats des SED-Regimes und kämpft damit gegen das Vergessen und eine Verharmlosung dieser Diktatur.

Ellen Thiemann nahm alle Schuld auf sich, um ihren Mann vor dem Gefängnis und dadurch ihren damals elfjährigen Sohn vor dem Heim zu bewahren, als sie im Dezember 1972 verhaftet wurde. Dass ihr Mann ein Stasi-Spitzel war und ihr gemeinsames Fluchtvorhaben verraten hatte, entdeckte sie erst viele Jahre später. Da hatte sie die Hölle von Hoheneck, wo man sie als „Politische“ zu schwerstkriminellen Häftlingen sperrte, schon hinter sich. Im Mai 1975 war Ellen Thiemann entlassen worden und konnte in den Westen ausreisen, wo sie später ihre traumatischen Erlebnisse in dem 1984 veröffentlichten Buch „Stell dich mit den Schergen gut“ erstmals niederschrieb. In „Wo sind die Toten von Hoheneck?“, das den Untertitel „Neue Enthüllungen“ trägt, hat die heute in Köln lebende Journalistin ihre Erinnerungen mit einer Fülle von entlarvenden Fakten untermauert und ergänzt. Im Rahmen ihrer vierjährigen Recherche, die einerseits oft von einzelnen Amtspersonen erschwert oder blockiert, andererseits aber seitens der Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen (BStU) rege unterstützt wurde, konnte Ellen Thiemann bergeweise Akten sichten und auswerten und stieß bei ihren Nachforschungen über das Frauenzuchthaus Hoheneck auf bisher unbekannte Strukturen und Details. So fand sie heraus, dass regelmäßig Monatsberichte von Hoheneck an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) geliefert wurden und es ein enges Geflecht von sich gegenseitig ausspionierenden Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) unter den Gefangenen und erst recht den Aufseherinnen gab, von denen sie, oft den genauen Wortlaut der Berichte zitierend, gleich mehrere enttarnt. In ihre sehr anschaulichen Schilderungen des Gefängnisalltags fließen nunmehr auch belegte Fälle von Prügelstrafen, Gewaltanwendung in der Krankenabteilung, Folter in der „Wasserzelle“ oder auch Suiziden. Zwar wurden Letztere dokumentiert, doch konnte Ellen Thiemann auch nach etlichen Versuchen nicht an die entsprechenden Unterlagen gelangen, die eindeutig nachweisen, wie viele Frauen in Hoheneck bis 1989 Selbstmord begingen.

Deshalb beklagt sie, dass für ihr Buch, das der Wahrheitsfindung und Aufarbeitung dient und das man nicht unberührt lesen kann, scheinbar noch immer Tabuthemen existieren und hofft zugleich, dass sie zumindest einen Anstoß für eine schonungslose Aufklärung über dieses düstere Kapitel der DDR-Geschichte gegeben hat. Daniel Flügel

Lesung am Montag, 18. März, um 20 Uhr im Primadonna Frauenzentrum, Schiffbauergasse 4h. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 4 Euro

Daniel Flügel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })